nd-aktuell.de / 12.10.2017 / Sport / Seite 19

Weltboxverband suspendiert den eigenen Präsidenten

Wu Ching-Kuo soll die AIBA in einen Schuldensumpf manövriert haben. Das IOC schweigt zu den Vorwürfen gegen ihr Mitglied

Nikolaj Stobbe

Jürgen Kyas ist auf Thomas Bach nicht mehr gut zu sprechen. »Ignoranz ist auch eine Form der Beleidigung«, sagte der Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV). Auch bei der Aufklärung des Finanzskandals um Boxweltverbandspräsident und IOC-Mitglied Wu Ching-Kuo hatten sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) und sein Präsident vornehm zurückgehalten. »Ich habe Thomas Bach vor drei Wochen um ein Gespräch gebeten. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten«, berichtet Kyas, der als Mitglied der Exekutive des Boxweltverbandes AIBA an der Entmachtung von Wu beteiligt war.

Wu, seit 2006 AIBA-Präsident und seit Jahren Mitglied der mächtigen IOC-Exekutive, wurde am Dienstag durch die Disziplinarkommission des Verbands suspendiert. Dem Taiwanesen wird Misswirtschaft und zum Teil Korruption vorgeworfen. Knapp 40 Millionen US-Dollar Schulden soll der Funktionär angehäuft haben - der Boxverband steht vor dem Kollaps.

Doch Wu hat eine dicke Haut und versucht, die Nationalverbände offenbar mit seiner Mitgliedschaft im IOC zu blenden. Am Rande des IOC-Gipfels in Lima Mitte September verfasste der angezählte Präsident ein Schreiben auf IOC-Briefpapier, wies darin alle Vorwürfe zurück und machte klar, dass er die geballte Unterstützung des IOC genieße.

»Wie kann es sein, dass Herr Wu auf Papier mit IOC-Emblem schreibt und den Eindruck erweckt, er habe die Unterstützung des IOC. Gleichzeitig wird uns aber vom IOC mitgeteilt, man wolle sich in die Angelegenheit nicht einmischen«, fragte Kyas. Das IOC beruft sich auf eine Antwort an die AIBA-Exekutive. Damit sei auch die persönliche Anfrage von Kyas beantwortet. Ansonsten werde man sich zum AIBA-Streit nicht äußern, solange es gerichtliche Auseinandersetzungen gibt. Ein ordentliches Gericht in der Schweiz hatte Wu zunächst Recht gegeben.

Zuletzt hatte sich das IOC mehrfach bei der Aufklärung von Skandalen seiner Mitglieder durch Zurückhaltung hervorgetan. Rios gefallener Olympiaorganisationschef Carlos Arthur Nuzman wurde erst suspendiert, nachdem das IOC-Ehrenmitglied hinter Gittern saß. Das langjährige IOC-Mitglied Patrick Hickey, angeblich in den Ticketskandal von Rio verstrickt, trat erst mehr als ein Jahr nach seiner Festnahme aus der Exekutive des IOC zurück. Eigene Ermittlungen scheint das IOC in Korruptionsaffären nicht mehr anzustrengen. Lieber wird abgewartet. Inwieweit das mit der selbst propagierten gesellschaftlichen Verantwortung und moralischen Integrität zu vereinbaren ist, bleibt dahingestellt. SID/nd