nd-aktuell.de / 19.10.2017 / Politik / Seite 6

Die verstörte Staatspartei

Sachsens CDU-Regierungschef Stanislaw Tillich ist zurückgetreten

Hendrik Lasch, Dresden

Zum Schluss ist der Druck zu groß geworden: Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) hat seinen Rücktritt angekündigt. Er werde sein Amt im Dezember »in jüngere Hände übergeben«, erklärte Tillich am Mittwoch in Dresden. Bereits seit der Bundestagswahl stand der 58-Jährige unter Beschuss.

»Wir müssen jetzt richtig aufräumen«, hatte zuvor Michael Herford, der Rathauschef im ostsächsischen Wilthen, gesagt. »Wir müssen die Landesregierung austauschen, und zwar von den Köpfen in den Ministerien bis zur Abteilungsleiterebene«, donnerte der CDU-Lokalpolitiker. Kurt Biedenkopf formulierte ähnlich. Die Sachsen hätten »das Gefühl, nicht gut regiert zu werden«, sagte der Ex-Regierungschef, der überzeugt ist, den Job von 1990 bis 2004 toll erledigt zu haben, und kürzlich Sorge um sein »Lebenswerk« äußerte.

Kein Zweifel: In der CDU Sachsen hängt der Haussegen seit einiger Zeit schief. Lange dominierte die Partei im Freistaat unangefochten, fuhr absolute Mehrheiten ein und wähnte sich auf dem Weg zu bayerischen Verhältnissen. Mit der Alleinregierung ist es zwar seit dem Jahr 2004 vorbei, aber stärkste Partei blieb sie noch immer, und Direktmandate oder Landratsposten gewann weiterhin der sprichwörtliche schwarze Besenstiel.

Das ist vorbei. Bei der Bundestagswahl kam die sächsische CDU erstmals in ihrer Geschichte nur als Zweite ins Ziel. Zu allem Übel wurde der Landesverband, der sich gern als konservativster weit und breit sieht, von rechts überholt: Die AfD lag 0,1 Prozentpunkte vor ihr. Auch vier Wahlkreise gingen verloren.

Seither rumort und brodelt es in der Partei, die sich bisher quasi als Staatspartei gefiel und Chefposten in Sport- oder Tourismusverbänden als Erbhöfe ansah. Zuletzt war Generalsekretär Michael Kretschmer an der Spitze des Volkshochschulverbands installiert worden. Dann verlor auch er völlig unerwartet sein Direktmandat. Nun will Tillich den in seinem Wahlkreis Unterlegenen als seinen Nachfolger vorschlagen.

In der CDU hat sich Angst breit gemacht, schließlich sind in nicht einmal zwei Jahren Landtagswahlen. Fiele das Ergebnis ähnlich aus, wäre nicht nur die Regierungsbildung schwierig. Auch viele Abgeordnete müssten um ihre Jobs bangen. In der Partei fragt man sich, mit welcher Strategie man einer erneuten Pleite vorbeugen kann - und mit welchen Köpfen. Nun hat Tillich eine Personalie geklärt.

Tillich war vor neun Jahren erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt worden und bis zur Bundestagswahl mit unverbindlichem Lächeln gut über die Runden gekommen. In der Analyse der Niederlage aber wirkte er hilflos, und seine danach geäußerte Forderung nach einem Rechtsruck habe gewirkt, als versuche er, Dinge zu sagen, »von denen er glaubt, dass die Leute sie hören wollen«, schrieb die »Zeit« in einem Porträt mit dem Titel »Stanislaw, der Schwankende«.

Nach Biedenkopfs Kritik sah es zunächst so aus, als würde der Schwankende nicht kippen: Seine Äußerungen über Tillichs Qualifikation für das Amt waren so despektierlich, dass Tillichs Parteifreunde kaum anders konnten, als die Reihen zu schließen. Doch der Druck blieb hoch. Treibende Kraft war dabei nicht die Fraktion. Vielmehr waren es die CDU-Landräte, die den Takt vorgaben - ähnlich wie 2008, als Tillichs Vorgänger Georg Milbradt nach der Pleite der Landesbank und kurz vor der Landratswahl vom Hof gejagt wurde.

Diesmal gab es erst ein »Geheimtreffen«, auf dem auch auf personelle Konsequenzen gedrängt wurde. Dann habe man, so heißt es, mit Tillich in der Staatskanzlei »Tacheles geredet«. Als Folge sollte es ein Maßnahmepaket für den ländlichen Raum geben - und eine »große« Regierungsumbildung. Zur Disposition wurden der Innenminister und der Finanzminister gestellt, denen etwa Personalmangel in Schulen und bei der Polizei angelastet wird. Dass der Regierungschef abtritt, hatte lange Zeit kaum jemand erwartet. Rico Gebhardt, Fraktionschef der Linkspartei, sagte schon vor Tillichs Rücktritt: Die Richtung für den jahrelangen Personalabbau habe Tillich selbst vorgegeben.