Ein Salat für alle

Jochen Rollers matte Indianer-Performance »Blutsbrüder« in den Sophiensaelen

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ehe man ins Allerheiligste gelassen wird, sieht man auf dessen weißer Außenhaut Filmausschnitte von den Karl-May-Festspielen in Radebeul. Donnerblatt und Bärentöter laufen dort kostümiert herum, manche mit prächtig bodenlanger Kopfschleppe; es gibt die Goldwäsche für Anfänger, eine Station zur Gesichtsbemalung und auch Anleitungen zum Tanz nach Tretrhythmen. Zugereiste aus NRW oder vom Niederrhein sind neben Einheimischen ganz in ihrem Element: mit vollem Ernst Indianer zu spielen. Eine Frau mit rotem Gesicht ist Kriegerin der Nordcheyenne, mit Leib und Seele, eine andere dichtet neue Indianermärchen.

Nach dieser unfreiwillig komischen Einstimmung führt ein roter Teppich ins Innere. Der Festsaal der Sophiensaele wurde hierfür zum Wigwam umgebaut. Drinnen schaut es aber eher wie im Cabaret aus. In der Mitte findet sich ein rotplüschig bedecktes Rundsofa, das vier knallrot bekleidete dralle Ladys mit buntem Federschmuck im Haar und in Rotlicht zu Elektropop umtänzeln. Dann wird es auch hier ernst.

Denn Theatermacher Jochen Roller nimmt sich in »Blutsbrüder«, dem Schlussteil seiner »Finding Germany Elsewhere«-Trilogie, Karl May und seine unsäglichen Indianer-Gespinste vor: nach der Kolonialgeschichte von Deutsch-Samoa und einer witzigen Performance um deutsche Volkstänze die verkitschte Begegnung von Winnetou und Old Shatterhand. Dazu lesen die Frauen, jede einer anderen Ethnie angehörig, aus ausgewählten Kapiteln von »Winnetou I« vor. Zuvor hat eine von ihnen den Traum, wie aus Menstruationsblut ein See mit einem Seepferdchen wird, schließlich sie selbst zur muschelumschlossenen Perle. Weshalb die Texte auf Englisch gelesen werden, fragt sie und zielt auf den mit 200 Millionen verkauften Büchern weltweiten Erfolg jener kruden Geschichten ab. Ihr Haar sei so toll wie das Winnetous, sagt sie süffisant. Langatmig changiert der Abend im Weiteren zwischen unprononcierter Lesung und versuchter Kommentierung der Textinhalte.

Old Shatterhand tue doch auch nur seinen Job, habe Verständnis für die Indianer, blöd sei ihre Vertreibung, aber irgendwo würden sie willkommen geheißen wie anfangs die gegenwärtigen Flüchtlinge, denen man gern alte Klamotten in die Erstaufnahme trage. Ihr wollt Christen sein, heißt es im Text. Dazu wird eine der Frauen von einer anderen drangsaliert, dass ihr bloß noch Stöhner und Gurgler entweichen.

Standbilder aus dem Film »Winnetou« auf der Wigwam-Wand untermalen das: schmachtende Blicke von Winnetou Pierre Brice, später von Shatterhand zur bald ermordeten Winnetou-Schwester Nscho-tschi. Würde er doch Christ, lässt Shatterhand alias May dann die Katze aus dem Sack: So kolonial ist sein Verständnis für die Eigenheiten der Fremden. Bisweilen gerät die Debatte der Performerinnen auch textkritisch, wenn es um Mays Scheidung in gute und schlechte Indianer, um Gewalt beim Abschneiden von Haar, um Fetische und schließlich darum geht, ob man durch aktivierte Tanzschritte wie in Radebeul eine Kultur bewahren kann.

Pierre Brice mit wehender Winnetou-Mähne, dazu die Lesung über seine sensiblen Hände und andere May-Lyrismen und die Kritik, dass es im Stück nur um das Verhältnis der beiden Männer gehe: Eine der Frauen sollte Nscho-tschi sein und habe sich intensiv mit der Figur befasst, am Ende kommt sie zu der Einsicht, May sei ein chauvinistischer, rassistischer Autor. Ehe Shatterhand in Kapitel 29 Ehren-Apache werden soll, verfallen die Frauen unerwartet in gewürgtes Indianer-Dada, bis es dann endlich zur titelgebenden Blutsbrüderschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand kommt.

An Schwung gewinnt die Aufführung durch Serfiraz Vurals schwäbisch kolorierten Versuch, einen Salat für alle zu komponieren. Ich bedaure Deutschland wegen Karl May, resümiert ihre Kollegin, verteilt aus den Seiten ihres »Winnetou« geschnipselte Männchen, bietet einen Workshop zum Hobby-Indianer an. Verleiten einen Karl Mays literarische Ergüsse schon nicht dazu, so gibt einem die mit zwei Stunden entschieden zu lange und sehr betuliche Ethnic-Drag-Show den Rest.

Weitere Aufführungen am 19., 20. und 21. Oktober in den Sophiensaelen, Sophienstr. 18, Mitte

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