nd-aktuell.de / 20.10.2017 / Politik / Seite 3

Kümmern am Rande des schwarzen Lochs

Sachsens LINKE sucht nach Gründen für die enttäuschende Wahl - und wappnet sich für die neue Konstellation im Freistaat

Hendrik Lasch, Chemnitz

Irgendwann im Lauf des Abends wird der Klassiker beschworen. Der Mann, der vor dem Tagungszentrum »Pentagon3« in Chemnitz im Großformat auf die Straße schaut: Karl Marx. Man müsse Wählern erklären, was dieser heute noch zu sagen habe, schlägt ein Genosse vor. Ein anderer rät zu »vergleichendem Wahlkampf«: Man solle nicht nur das Programm der LINKEN verteilen, sondern Forderungen der Konkurrenz daneben stellen, quasi als Entscheidungshilfe für Wähler.

Von denen gewann die LINKE in Sachsen viel zu wenige bei der Bundestagswahl, sind sich rund 50 Teilnehmer bei der ersten von drei Regionalkonferenzen nach der Wahl einig. Bei 16,1 Prozent landete die Partei im Freistaat, fast vier Punkte weniger als 2013. Absolut gingen ihr 68.418 Wähler von der Fahne – vor allem in ländlichen Gegenden. In 33 Gemeinden fiel das Ergebnis einstellig aus. Gewinne in einigen städtischen Vierteln konnten die Verluste in der Fläche nicht kompensieren.

Woran es gelegen hat und wie die Partei auf den bedrückenden Trend reagieren soll – darüber will die Führung vor einem Parteitag am 4. November ebenfalls in Chemnitz die Ansicht der Basis hören: »Lasst uns reden«, heißt es in der Einladung zu den Runden, deren letzte am Dienstag in Leipzig stattfindet. Über Prozente und absolute Zahlen will mancher Teilnehmer in Chemnitz indes nicht mehr sprechen: Er erwarte »weniger eine statistische als eine inhaltliche Diskussion«, sagt Stefan Gabler: »Was wollen wir leisten, wie wollen wir das tun, und welche Alternativen bieten wir zum derzeitigen System?«

An Anregungen mangelt es nicht. Die Partei solle sich auf das Erfolgsrezept der frühen 90er Jahre besinnen - die »Kärrnerarbeit« des Kümmerns, sagt Klaus Bartl. Das sei, sagt der Rechtspolitiker im Landtag, »der angestammte Platz der Linken in einer bürgerlichen Gesellschaft, und es wurde belohnt«. Auch Fraktionskollegin Susanne Schaper lenkt den Blick in die Vergangenheit - konkret: das Jahr 1994, als die PDS in Sachsen bei fast dem gleichen Ergebnis landete wie 2017, bevor sie auf bis zu 23,6 Prozent bei der Landtagswahl 2004 stieg. »Wie hat man es damals gemacht?«, fragt Schaper und gibt eine mögliche Antwort: Man müsse »ran an die Menschen, indem wir rausgehen«. Was für eine schrumpfende Partei freilich nicht mehr so leicht ist, gibt eine Genossin zu bedenken: »Wir brauchen ja auch die Leute dazu.«

Zwei Weichenstellungen zeichnen sich bereits ab: Die LINKE in Sachsen will sich wieder mehr um den Osten und außerdem um die ländlichen Regionen kümmern. Ostkompetenz sei einst »Markenkern« der Partei gewesen, sagt Werner Glaesel, Ex-Mitarbeiter der Fraktion. Wenn es nicht gelinge, in der neuen Fraktion im Bundestag, in der die nur noch 26 Abgeordneten aus dem Osten freilich in der Minderheit sind, eine »Botschaft für den Osten« zu entwickeln, dann, sagt er, »sehe ich schwarz« für die drei Landtagswahlen 2019 in Sachsen sowie in Brandenburg und Thüringen. Zudem brauche es neue politische Ansätze für die Regionen jenseits der Großstädte, sagt der Chemnitzer Nico Brünler: »Dort sind wir oft ins politische Nichts abgeschmiert.«

Einige Ideen dafür hat Antje Feiks kürzlich in einem Papier skizziert, die bisherige Geschäftsführerin der Partei, die auf dem Parteitag in zwei Wochen neue Landeschefin werden will und dabei wohl doch nicht mit einer Herausfordererin rechnen muss. Sie kündigt zudem an, der Landesverband wolle wieder »mehr Impulse in die Bundespartei« schicken, in der es seit der Gründung der LINKEN einen »inhaltlichen Stillstand« gebe.

Noch-Amtsinhaber Rico Gebhardt kündigt an, man wolle künftig etwa auf Plakaten eine »differenzierte Ansprache« in Stadt und Land wagen - in der Hoffnung auf bessere Ergebnisse. Ganz so schlecht solle man die jetzigen Zahlen aber dann doch nicht reden, fügt er an. »Es ist die CDU, die in Sachsen in ein schwarzes Loch gestürzt ist«, betont er: »Wir sollten nicht gleich hinterherspringen.«