nd-aktuell.de / 24.10.2017 / Politik / Seite 14

»Moor ist kein Land, Moor ist kein Wasser«

Mecklenburg-Vorpommern: Ist das Wiedervernässungsprogramm Schuld am Absacken der A20-Brücke?

Martina Rathke,Tribsees

Ungeheure Gefahren, faulige Sümpfe, schlammige Abgründe: Diese Beschreibungen muten wie die dunklen Phantasien eines Thriller-Autors an, doch sie stammen von einem der glaubhaftesten Chronisten des 12. Jahrhunderts: Saxo Grammaticus (1140-1220). Ungefähr dort, wo heute die A20 das Moor zwischen Mecklenburg und Vorpommern quert und ein im Moor abgesacktes Autobahnstück für Ärger sorgt, ereilte den Dänenkönig Waldemar I. (1131-1182) ein ähnlich gruseliges Schicksal.

Saxo Grammaticus berichtet in seiner »Gesta Danorum« (1171), wie sich Waldemar beim Kriegszug gegen die verhassten Slawen nach Rügen vorzuarbeiten versuchte und im Land der Zirzipanen (Dargun-Demmin-Güstrow) im Moor zu scheitern drohte. In blumigen Ausschmückungen beschreibt er die Hilflosigkeit der Truppen, deren Pferde tief in den Schlamm gesogen wurden. Erst durch geflochtene Weidenmatten, die sie zur Gewichtsverteilung auf den sumpfigen Grund legten, gelang ihnen die Durchquerung des Moores.

Das Grenztalmoor zwischen Mecklenburg und Vorpommern war also nicht grundlos schon immer dünn besiedelt. Wie aus Unterlagen des Umweltministeriums hervorgeht, begann Mitte des 18. Jahrhunderts die großflächige Entwässerung des Moores. Die Bewohner machten sich das Land zu eigen, sie stachen Torf, legten Kanäle an, um Torf zur Saline nach Bad Sülze zu transportieren. An der Entwässerung des Areals wurde bis in die 1990er Jahre festgehalten. Im Jahr 2000 dann begann das Land im Zuge des Moorschutzprojektes mit umfangreichen Maßnahmen zur Wiedervernässung.

Ob die Wiedervernässung am Absacken der Brücke Schuld sein könnte, müsse geklärt werden, fordert nun die CDU-Landtagsabgeordnete Beate Schlupp. »Wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen, um Fehler in der Zukunft vermeiden zu können.« Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums sagte, dass davon auszugehen sei, dass sich die Gutachten auch mit dieser Frage beschäftigen werden.

Aus dem Umweltministerium hieß es, dass keine Moorschutzprojekte in unmittelbarer Nachbarschaft zur Autobahn umgesetzt wurden. Diese Angabe steht jedoch im Widerspruch zu einer Karte des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie, die für 2000 bis 2007 nördlich der A20 bei Langsdorf eine Moorrenaturierung auf 616 Hektar ausweist.

Sind die Gründungspfähle ordnungsgemäß in den unter dem Moor liegenden Sand abgeteuft, dürfte nach Ansicht von Hydrogeologen eine Moorrenaturierung keine Probleme verursachen. »Sand unterliegt kaum Setzungserscheinungen bei Änderung des Wassergehalts«, sagte die Hydrogeologin und Professorin Maria-Theresia Schafmeister von der Universität Greifswald.

Moore sind - zumindest in Mitteleuropa - Ökosysteme, in die der Mensch immer wieder eingegriffen hat. »Wie intakte Flusstalmoore aussehen, ist bei uns wegen der umfassenden Entwässerung nicht mehr zu beobachten. Dafür muss man nach Westsibirien oder Ostchina fahren«, sagt Moorkundler und Paläoökologe, Professor Hans Joosten, vom Greifswald Moor Centrum. Saxo Grammaticus beschreibe ein solches intaktes Moor sehr gut. »Moor ist kein Land, und Moor ist kein Wasser. Es ist zu nass, um drüber zu reiten, und es ist zu trocken, um mit einem Schiff drüber zu fahren.« Ein Durchströmungsmoor wie Trebel und Recknitz - so Joosten - sei wie ein langsam strömender Fluss, der mit »Gras« gefüllt und bedeckt sei. »Ein lebendes Moor enthält 95 Prozent Wasser und damit mehr als Milch.«

Deshalb seien auch Bauwerke über Moore, gerade über Durchströmungsmoore wie das an der A 20, höchst anspruchsvoll. Strömendes Wasser habe eben eine beträchtliche Kraft. »Und gerade die Strömung macht es unmöglich, dort einen geschlossenen Damm zu bauen.« Und wenn man einen Baukörper auskoffere, bremse dieser den gesamten Wasserfluss ab. Auch »schwebend« verlegte Schwimmkörper drückten sich in den meterdicken Torf hinein und verdichteten diesen. »Alles was man dort reinbringt, verzögert und blockiert den Wasserabstrom«, sagt Joosten.

Eine Entwässerung von Mooren ist nach Einschätzung der Moorforscher keine Alternative - nicht nur aus Klimaschutzgründen. Denn der Wasserentzug macht Moore langfristig nicht stabiler. Die Niederlande zeigten, dass eine über Jahrhunderte konsequent betriebene Entwässerung zu einem Absenken des Bodens über mehrere Meter führe, sagt Joosten. »Die Torfe kollabierten, das organische Material kommt in Berührung mit Sauerstoff und zersetzt sich.« Dadurch würden nicht nur gigantische Mengen Kohlendioxid freigegeben, sondern der Boden senke sich durch die Entwässerung pro Jahr um ein bis zwei Zentimeter Höhe ab. Aus dem Umweltministerium hieß es, dass die Wiedervernässung eher stabilisierend auf die Moore wirke. dpa/nd