nd-aktuell.de / 27.10.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Nach Flug AB6210 ist Air Berlin Geschichte

Nach fast vier Jahrzehnten stellt die Luftfahrtgesellschaft den Betrieb ein - Lufthansa reibt sich die Hände

René Heilig

Post Box 70, Bend, Oregon, USA - so lautete einst die Anschrift einer Firma namens Lelco Incorporated. Das Unternehmen der Familie Lundgren betrieb Sägewerke. Sohn Kim Lundgren wollte raus aus der Enge seines Geburtsortes und wurde Pilot, flog für die PanAm. Die US-amerikanische Fluggesellschaft verband nach dem Krieg den Flughafen Berlin-Tempelhof im Stundenrhythmus mit der Welt. Der Viermächtestatus garantierte auch der Air France und British Airways Landerechte in Westberlin. Und dann gab es auch noch Modern Air, gegründet 1946 in Miami, die im Auftrag von Pauschalreiseveranstaltern flog. Doch trotz eines Millionen-Urlauber-Geschäftes war der wirtschaftliche Sinkflug nicht aufzuhalten, 1975 verlor die Gesellschaft die Betriebserlaubnis. Die Aeroamerica, eine Chartergesellschaft aus Seattle, kaufte die Berliner Streckenrechte und schloss Verträge mit dem Reiseveranstalter Berliner Flugring. Doch auch das Geschäft lief nicht, der Flugring suchte neue Partner und fand den alten Modern-Air-Chef John McDonalds sowie den gerade von PanAm wegen der Ölkrise gefeuerten Kim Lundgren. Der überredete seinen Sägewerksvater, auch eine Airline zu finanzieren, und übernahm den Vorsitz der neuen Gesellschaft Air Berlin USA. Diese kaufte von TWA zwei vierstrahlige Boeings und flog ab 1979 Urlauber aus Westberlin nach Mallorca. Ein Jahr später bot man auch Charterflüge an. Als man ins Liniengeschäft einsteigen wollte, intervenierte jedoch PanAm erfolgreich bei den alliierten Luftfahrt-Attachés.

Trotzdem lief das Geschäft für Air Berlin USA gut - so lange die Mauer stand. Als sie fiel, endete die Allmacht der vier Mächte, der Vorteil von Air Berlin USA war hin. Da stand Joachim Hunold vor der Tür. Der deutsche Allround-Manager kaufte 82,5 Prozent der Anteile und nannte die Gesellschaft fortan Air Berlin GmbH & Co. Luftverkehrs KG. Sie startete gleichfalls mit zwei Flugzeugen und 150 Mitarbeitern. Im Sommer 1992 absolvierte die Fluggesellschaft 15 Flüge pro Tag. Später waren es in Spitzenzeiten 800. Mit dem 2002 eingeführten »City Shuttle«, der Europas Metropolen verband, startete man richtig durch. 2004 übernahm man knapp 25 Prozent der Anteile an der österreichischen Fluggesellschaft Niki. Anschließend holte man sich an der Börse Kapital, dann die Deutsche BA und mit ihr eine Fülle attraktiver Slots - Landerechte - an den Flughäfen Berlin, Düsseldorf, München und Frankfurt am Main. Durch den Kauf des Ferienfliegers LTU im Jahr 2007 konnte man zudem interkontinentale Verbindungen anbieten. Air Berlin, die in ihren besten Zeiten 140 Flugzeuge verschiedenster Typen betrieb, ging eine Partnerschaft mit Etihad Airways aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ein. Beide Fluggesellschaften versprachen sich rosige Aussichten, wenn das Luftdrehkreuz BER, das als neuer Stammsitz von Air Berlin vorgesehen war, erst einmal in Betrieb ist.

Richtig rund wird die Air-Berlin-Story aber erst, wenn man sich an die zahlreichen wirtschaftlichen Misserfolge der immer großmäuliger auftretenden Geschäftsführer erinnert. Im August 2011 trat Hunold aufgrund schlechter Geschäftszahlen zurück. Nachfolger wurde der frühere Bahnchef und spätere Berliner Flughafenchef Hartmut Mehdorn, der es ebenso wenig schaffte, die Airline auf Kurs zu bringen, wie Wolfgang Prock-Schauer (2013-2015), Stefan Pichler (2015-2017) und Ex-Germanwings-Chef Thomas Winkelmann (seit Februar 2017). Immer wieder musste die staatliche Luftverkehrsgesellschaft Etihad Geld nachschießen und stockte 2011 ihren Anteil von 2,99 Prozent auf 29,21 Prozent auf. Doch die roten Zahlen wuchsen schneller. Die Scheichs hatten die Nase voll und Air Berlin keinen Geldgeber mehr.

Air Berlins Verluste sind, so die aktuellen Zahlen aus dieser Woche, im ersten Halbjahr 2017 auf fast 447,6 Millionen Euro gestiegen - gut 163 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz fiel zugleich von 1,7 Milliarden auf rund 1,5 Milliarden Euro. Doch nicht einmal die Airline ist sicher, ob die schon etwas älteren Zahlen noch stimmen. Nach dem Insolvenzantrag im August habe sich eine völlig neue Ausgangslage ergeben. Ohne den Übergangskredit in Höhe von 150 Millionen Euro, den die Bundesregierung gewährte, hatte man Air Berlin nicht so für die Interessenten erhalten können: Lufthansa (LH), Easyjet und Niki Lauda gemeinsam mit Condor. Lufthansa machte, was niemand wunderte, den Schnitt. Nicht ohne heimlichen Rückenwind aus der Bundesregierung wird man, wie in Wendezeiten bei der Zerschlagung der DDR-Airline Interflug, einen lästigen inländischen Konkurrenten los und heimst dessen lukrativen Teile ein.

Wer als Ex-Air-Berliner eine Chance haben will, von der Lufthansa-Tochter Eurowings übernommen zu werden, muss sich neu bewerben und - wie beispielsweise die Piloten - erhebliche Lohneinbußen hinnehmen. Rund 4000 Mitarbeiter aus der Verwaltung und der Techniksparte stehen aber vor der Arbeitslosigkeit, denn die Idee einer Transfergesellschaft, die vom Land Berlin begrüßt wurde, fand in Nordrhein-Westfalen und in Bayern, wo es gleichfalls Air-Berlin-Standorte gibt, keinen Widerhall. Der Bund sah sich in Bezug auf die Beschäftigten nicht in der Pflicht.

Und Lufthansa ? Auch die gibt keinen Cent für eine Transfergesellschaft. Der Kranich-Konzern ist voll beschäftigt mit Nichtstun. So sehr man sich auch mühe, leider habe man noch keinen Zugriff auf die von Air Berlin gekauften Maschinen, heißt es. So würden ab Samstag von 140 Air-Berlin-Flugzeugen ungefähr 80 bis 90 am Boden bleiben, bedauerte LH-Boss Carsten Spohr zur Wochenmitte. Einen solchen Kapazitätsverlust könne keine Fluggesellschaft kompensieren. Ergo: Das Sitzplatzangebot sinkt schlagartig, die Ticketpreise heben ab. Lufthansa macht noch fettere Gewinne und die Aktionäre jubeln.

Air Berlin ist dann schon Geschichte. Der letzte Flug AB6210 startet planmäßig an diesem Freitag um 21.35 Uhr in München und landet um 22.45 Uhr in Berlin-Tegel. Die Tickets waren heiß begehrt und sollen bis zu 350 Euro gekostet haben.