nd-aktuell.de / 28.10.2017 / Kultur / Seite 10

Militanz macht Spaß

»Feminista, Baby!« von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin

Gunnar Decker

Natürlich, Manifeste sind nur gut, wenn sie richtig böse sind. Voller Anmaßung die eigene historische Mission betreffend, voller Vernichtungsfuror dem Bestehenden gegenüber. Beispiele dafür gibt es ausreichend, von Marx über Marinetti bis zu Breton. Platz da, hier komme ich und mache alles neu - das Alte aber werfe ich auf den Müllhaufen der Geschichte!

Wer Manifeste schreibt, ist immer irgendwie revolutionär, weil er vom »neuen Menschen« träumt, den er designen will. Manchmal, das kann man bei Mary Shelley in ihrer negativen Wissenschaftsutopie »Frankenstein« schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachlesen, ist dieser neue Mensch jedoch ganz und gar aus Leichenteilen zusammenbaut, ein untoter Wiedergänger.

Kühnel/Kuttner sind als Regie-Duo mitsamt ihren zugespitzten (und dabei unkommentierten) Thesen bereits mehrfach auffällig geworden; sie haben selbst fast schon Manifest-Charakter. »Feminista, Baby!« in den Kammerspielen des Deutschen Theaters schließt dabei auch an »Capitalista, Baby!« an. Das radikale Prinzip dabei: Ideologielastige Thesen werden immer weiter zugespitzt, bis sie sich gegen sich selbst wenden. Mache einen Gedanken konsequent, in dem Du ihn absolut setzt!

»Capitalista, Baby!« etwa war die Selbstfeier des amerikanischen Kapitalismus mit Manhattan als seiner Krone. Kühnel/Kuttner machten sie zur Dornenkrone. Es schmerzt irgendwann unerträglich. Diese schamlose Art der Selbstfeier war die beste Widerlegung des heutigen Amerika.

Und nun also der Feminismus, der als Emanzipationsbewegung der Frau antrat und daran scheiterte, dass er sich nicht von seinem Feindbild (dem Mann als Unterdrücker) zu lösen vermochte. Heute geistert er bloß noch als mediale Kampagne gegen den »Sexismus« durch die Medien, nach Sensationen gierend, nun selbst ein Teil der kritisierten Verwertungslogik des Kapitals, mehr nicht. Ja, bei Kühnel/Kuttner bleibt es immer grundsätzlich: angewandte Medienkritik.

»Feminista, Baby!« basiert auf einem der merkwürdigsten Texte des radikalen Feminismus, von dem man nicht recht weiß, ob er nun ernst gemeint war, oder doch bloß eine Parodie ist. Wir hören den ganzen Abend über Valerie Solanas’ SCUM-Manifest von 1968. SCUM heißt »Society for Cutting Up Man«, was so viel bedeutet wie »Gesellschaft zur Vernichtung der Männer«. Die »Männer-Frage« (das Grundübel der Geschichte, aus dem alle Ausbeutung, Gewalt und Krieg resultierten), mündet aus Solanas radikalfeministischer Sicht ganz folgerichtig in einer Vernichtungsforderung. Was unterscheidet das dann noch von einer anderen Art von »Endlösung«, wie sie 1942 auf der Wannseekonferenz beschlossen wurde?

Manche sagen, der sei selbst schuld, dessen Grenze des Humors so zeitig erreicht ist. Denn eines scheint Solanas’ Manifest allerdings: expressiv formuliert und reich an Volten, auch witzigen. Aber war es nun ernst gemeint mit der Vernichtung oder spielt die Autorin mit Klischees vom Mann (Macht!), die sie nun eins zu eins auf die Frau überträgt? Das lang geprobte, so wusste der Philosoph Ernst Bloch, will auch zur Aufführung gelangen, der radikale Gedanke drängt zur Tat.

Anfangs kommen drei derangierte, ältliche Marilyn Monroes (Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau, Jörg Pose) daher. Männer bei einer billigen Travestie. Sie zwängen sich in ihre weißen Kleidchen und stülpen sich blonde Perücken über, um, derart verkleidet, sich mit dem Solanas-Text hervorzutrauen. Hinter ihnen eine Treppe (Bühne: Jo Schramm), gebaut in der Doppel-Helix-Struktur des menschlichen Erbguts, auf halber Treppe steht ein Schlagzeug. Dort macht Andreas Sprechtl die Begleitmusik zum Manifest und zu Christiane Rösinger, die einst die feministischen Lassie Singers gründete und nun live traurige Songs über das Altern und das damit verbundene Unsichtbar-Werden singt. Das scheint dann die biologische Lösung der Geschlechterfrage.

»Endlösung« ist eine unzulässige Formulierung, aber hat jemand eine bessere, wenn über die Vernichtung einer Hälfte der Menschheit (der schädlichen, aber durch den technischen Fortschritt zum Glück entbehrlichen) die Rede ist? Solanas kann das gut ausdrücken, was nur heißt, dass man alles Mögliche gut ausdrücken kann, Blödsinn sowieso, aber auch den Prolog zum geforderten Mord: »Mit seiner totalen Sex-Abhängigkeit und seiner Unfähigkeit zu intellektuellen oder ästhetischen Reaktionen, mit seinem Materialismus und seiner Gier hat der Mann, abgesehen davon, dass er seine ›große Kunst‹ auf die Welt losgelassen hat, seine gesichtslosen Städte mit (innen wie außen) hässlichen Gebäuden, hässlichen Dekorationen, Reklameflächen, Autobahnen, Autos und Müllfahrzeugen und vor allem mit seiner eigenen widerwärtigen Anwesenheit verziert.«

Das mit der »großen Kunst« bezieht sich auf Andy Warhol, mit dessen »Factory« Solanas Kontakt hatte - jedoch keinen allzu guten. Sie spielte auch in einem Warhol-Film mit, verlangte dabei ultimativ mehr Geld und wurde gefeuert. Da machte sie mit ihrem SCUM-Manifest ernst, das ihr zuvor der Verleger Maurice Girodas (der vor allem pornografische Literatur verlegte) abgekauft hatte und schoss mit einer Pistole drei Mal auf Andy Warhol und einen ihn begleitenden Kunstkritiker, die beide schwer verletzt wurden. Als sie seinem Manager Fred Hughes in den Kopf schießen wollte, klemmte der Abzug. Warhol überlebte zwar, starb aber einige Jahre danach an den Spätfolgen des Attentats.

Solanas’ Manifest gegen eine von Männern beherrschte Welt wurde zum Verkaufshit, sie selbst kam in eine Anstalt für psychisch kranke Straftäter. Nach ihrer Entlassung vegetierte sie auf der Straße und starb in einem Obdachlosenasyl.

Wie klingt dieses Manifest heute? In meinen Ohren vollkommen paranoid. Aber hinter mir im Publikum sitzen einige Mädchen, Erstsemester vermutlich, von was auch immer. Sie fühlen sich offenbar von diesem Text angesprochen, geradezu angespornt. »Super, toll!«, höre ich sie flüstern. Dass dies eine überaus bittere Monroe-Party ist (in der auch Jürgen Kuttner als »Mann« auftaucht), entgeht ihnen offenbar. Maßlose Militanz macht nun mal ungeheuren Spaß - solange, bis man selbst die Kugeln abbekommt, die ein Fanatiker abschießt.

Nächste Vorstellungen: 29. Oktober, 2. November