nd-aktuell.de / 30.10.2017 / Politik / Seite 6

Tarifpolitik ist nicht genug

Der IG-Metall-Bevollmächtigte Günter Hoetzl über politische Versäumnisse seiner Gewerkschaft und warum es nötig ist, über alten Käse zu reden

Ines Wallrodt

Ein bundesweites Treffen linker Metaller für eine »offensive Gewerkschaftspolitik« gab es sehr lange nicht. Warum jetzt?

Es ist nötig, weil wir innerhalb der IG Metall keine Zeit mehr finden, gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren. Dabei muss es eine zentrale Aufgabe einer Gewerkschaft sein, nicht nur Kernfelder zu bedienen wie Tarifpolitik, sondern darüber hinausgehend auch gesellschaftspolitische Themen. Deshalb wollten wir uns den Raum schaffen und haben mit sieben Thesen die Debatte eröffnet.

Sie finden die IG Metall politisch zu zurückhaltend?

In den letzten Jahren zumindest, ja.

Der erste Satz des Diskussionspapiers lautet: »Offensive Gewerkschaftspolitik nimmt den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit zum Ausgangspunkt.« Warum müssen Sie das extra betonen?

Ja, weil es auch in der IG Metall Menschen gibt, die sagen, das ist ja aus dem letzten Jahrtausend. Dieser Widerspruch sei praktisch aufgelöst. Aber das ist Quatsch. Der hat sich verschärft.

Wo wünschen Sie sich andere Positionen der IG Metall?

In der Sozialpolitik gibt es große Defizite, zum Beispiel in der Rentenpolitik, in der Frage der Krankenversicherung oder der Berufsunfähigkeit. Hier haben wir wichtige Reformen nicht erreicht. Zugleich hat die IG Metall Gesetze unterstützt, die in die falsche Richtung gehen. Stichwort Stärkung der Betriebsrenten, statt der gesetzlichen Renten. Und sie hat Tarifverträge geschlossen, die Gesetze nicht verbessert haben. Stichwort Leiharbeit.

In einer These heißt es: »Es besteht die Gefahr, dass die IG Metall die Realität anders beschreibt, als sie von einem Großteil ihrer Mitglieder wahrgenommen wird.« Das müssen Sie erklären.

Die IG Metall denkt zu sehr in Richtung von Großkonzernen. Dabei lebt die IG Metall nicht ausschließlich von Großkonzernen und den dortigen Funktionären, sondern von mittelständischen Unternehmen, vom Maschinenbau. Wir sehen jedenfalls die Gefahr, dass sich die IG Metall von ihrer Mitgliedschaft entfernt. Man muss auch wahrnehmen, was die Kollegen in anderen Bereichen sagen.

Was ist denen denn wichtiger?

Für kleinere Betriebe hat zum Beispiel Standortkonkurrenz nicht diese große Bedeutung. Hier geht es noch viel mehr um bessere Arbeitsbedingungen - Entgelt, Leistungsverdichtung, Arbeitszeit. Von dem Standard, den die Beschäftigten in den großen Betrieben haben, davon träumen die hier noch.

Sie fordern, es müsse mehr getan werden gegen die Verankerung von rechtspopulistischen Meinungen unter IG-Metall-Mitgliedern. Inwiefern?

Die Spitzenfunktionäre grenzen sich schon ordentlich von der AfD ab. Das ist wichtig, reicht aber nicht. Hinzu kommen muss eine Strategie der offenen Tür. Weil nicht alle AfD-Wähler Faschisten sind, sondern vielfach aus Protest ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht haben. Wir müssen Inhalte besetzen und diese Leute wieder abholen. Aber dazu darf man eben nicht nur betriebliche und tarifliche Themen in den Vordergrund stellen. Und dafür braucht man auch Bündnispartner. Das schafft man nicht alleine.

Die IG Metall ist aber in politischen Bündnissen kaum präsent.

In der Tat sind die Kontakte zu anderen gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen oder Friedensbewegung weitgehend eingeschlafen. Dabei sollte die IG Metall wieder Sammelpunkt des gesellschaftlichen Widerstands werden und sich offensiv für eine Politik einsetzen, die die Interessen der Mehrheit der Menschen in den Mittelpunkt rückt. Wir müssen auch europäischer werden. Denn wir sind immer noch verhaftet in unseren regionalen Strukturen. Aber internationale Konzerne sind nicht an Ländergrenzen gebunden.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Initiative? Haben sich, salopp gefragt, halt wieder die üblichen Verdächtigen getroffen?

Zu unserem Treffen in Kassel kamen 100 Leute, viele Gewerkschaftssekretäre, vor allem auch viele junge Kolleginnen und Kollegen. Wir haben mit weniger gerechnet, muss ich ehrlich sagen. Ein so großes bundesweites Treffen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Und unsere Initiative hängt nicht an einer bestimmten Parteimitgliedschaft. Das müssen wir manchmal betonen.

Es gibt intern also auch Kritik an Ihrer Initiative?

Ja, natürlich gibt es auch ein paar Fossilien in der IG Metall, die sagen, das ist alles alter Käse. Aber Kritik ist doch in Ordnung. Eine demokratische Organisation lebe von der Vielfalt.

Sie haben keine feste Struktur gebildet. Wie geht es jetzt weiter: Bleibt es beim: Gut, mal miteinander gesprochen zu haben?

Wir wollen die Diskussion natürlich in die IG Metall hineintragen, in die Gremien, zum Gewerkschaftstag. Bislang gibt es eine Website. Anfang nächsten Jahres treffen wir uns wieder und hoffen dann mit mehr und nicht weniger Teilnehmern. Es wäre schön, wenn wir unsere Debatte nicht außerhalb, sondern innerhalb der Organisation weitertreiben können.