nd-aktuell.de / 03.11.2017 / Kultur / Seite 17

Im Wald sitzen und arbeiten

Epigonaler Indie-Rock aus England und Black Metal aus den USA, der der Schöpfung huldigt

Thomas Blum

Wolf Alice spielen »Alternative Rock«. Zugegeben, das klingt ein wenig, als sagte man: Wolf Alice sammeln Stickdeckchen.

Der »New Musical Express« hält das Quartett Wolf Alice dennoch oder gerade deswegen für die derzeit »beste Band Großbritanniens«. Und das, obwohl natürlich Rockmusik praktisch tot ist: Mit ihr wird weder das große Geld verdient, noch hat sie uns gegenwärtig Bahnbrechendes über die Welt mitzuteilen. Der vormals pubertären Zorn repräsentierende Gitarrendonner-Pop ist zwar immer noch pubertären Zorn repräsentierender Gitarrendonner-Pop, aber er hat nun mal nicht mehr annähernd die Bedeutung, die er für die Elterngeneration der heute Mittzwanzigjährigen einmal gehabt haben mag. Er ist nur die zehntausendste Variation des schon hundertmal Dagewesenen, die Wiederaufbereitung von »I don’t give a shit« und gefälligen Melodien, der beruhigende, Behaglichkeit herstellende Geräuschemix aus der Rocktretmühle.

Dennoch verwest der Indie-Rock als kleiner überschaubarer Geschäftszweig indessen munter weiter: als aufpeitschende Unterhaltungs- und besinnliche Entspannungsmusik für junge Heranwachsende, die ein allgemeines Unbehagen am gegenwärtigen Weltzustand empfinden, aber nicht recht wissen, warum sie so empfinden, weil sie kritische Reflexion eher so vom Hörensagen kennen und statt Büchern SMS-Nachrichten lesen.

So ist es auch mit der britischen Band Wolf Alice: Ihr berechenbares Hybrid aus Shoegaze-Pop und rotzigem Indie-Rock erscheint einem wie die Kopie der Kopie einer 90er-Jahre-Gitarrenband. Ja, es ist schön, der Musikindustrie beim beim Sterben zuzusehen.

Zuweilen scheint ihr Todeskampf ja immerhin auch erstaunlich Schönes hervorzubringen. Wie ja auch die Verwesung erregende Farbenspiele entstehen lässt. In den schönsten Grau- und Schwarztönen schillert etwa die Musik des US-amerikanischen Brüderpaars Nathan und Aaron Weaver, zweier haariger Waldschrate, die sich als antiautoritäre Künstler verstehen. Ihre Black-Metal-Band Wolves in The Throne Room »nahm die Techniken des Genres auf«, ließ aber erfreulicherweise »die demonstrative Menschenfeindlichkeit« weg, »die es immer wieder in radikaler Dummheit erstarren ließ« (»Spiegel Online«). Kurz: Wolves In The Throne Room machen »finsteren Metal für Leute, die sich bei finsterem Metal ansonsten gerne schulterzuckend bis lächelnd abwenden«, wie Arno Frank treffend im Magazin »Intro« schrieb.

Manchmal ist der elegische, schroffe Sound ein bisschen zu sehr mit Naturmythologie und Naturromantizismus aufgeladen (»Winter is dying / The sun is returning / The ice is receding / Rivers are flowing / The ground will be fertile / The seeds they awake«) oder man plappert gegenüber den Medien allerlei esoterischen Mummenschanz daher (»Ich sitze oft im Wald und höre auf die Stimme der Natur, um mich leiten zu lassen«, »wir mögen es, im Wald zu arbeiten, und geben der spirituellen, verborgenen Welt sehr viel Aufmerksamkeit«).

Wenn man also das Gekrächze und Geknüppel unverfälscht genießen will, muss man sich sowohl das reaktionäre Naturkommunen-, Ganzheitlichkeits- und Mutter-Erde-Geschwätz wegdenken als auch die Lagerfeuergitarre und den Engelszungengesang, die gelegentlich auftauchen und das so schön dunkel Rumorende durchwirken.

Wolf Alice: »Visions Of A Life« (Caroline/Universal)

Wolves In The Throne Room: »Thrice Woven« (Artemisia Records/Cargo Records)