nd-aktuell.de / 03.11.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 14

10 000 Autos auf der Dorfstraße

Vorpommern: Seit der A20-Sperrung herrscht in Merkels Wahlkreis der Ausnahmezustand

Langsdorf. Es ist laut geworden in Langsdorf. Durch den kleinen Ort im Landkreis Vorpommern-Rügen fließt seit dem 27. Oktober der gesamte Verkehr der Autobahn 20, die wenige hundert Meter weiter im Moor versinkt. An das Tempo-30-Limit halten sich längst nicht alle Fahrer an diesem nasskalten, grauen Novembervormittag.

»Es ist ein Ausnahmezustand, für den es eine andere Lösung geben müsste«, sagt Erika Baumgart. Die 66-Jährige betreibt gemeinsam mit ihrem Sohn die Gaststätte »Zur Kastanie«. Pausenlos rollt der Verkehr in beiden Richtungen an ihrem Haus vorbei. Laut Ronald Normann vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr sind es täglich zwischen 8000 und 10 000 Fahrzeuge. »Ich weiß nicht, wie ich das durchhalten soll«, sagt die Wirtin. Zuvor habe im Ort »Ruhe und Gelassenheit« geherrscht, doch nun klagen beide über Lärm, Dreck und Abgasgestank.

Immerhin: In ihrer Gaststätte könnten sie ein paar Gäste mehr begrüßen als sonst, erzählt die Wirtin. »Aber dafür bleiben Stammgäste weg.« Die seien sonst auch aus Stralsund und Rostock gekommen, aber wegen des Verkehrs überlegten sie es sich jetzt zweimal.

»Hier kommt doch kein Minister her«, schimpft sie. Als Teile der A20 abzusinken begannen, war Verkehrsminister Christian Pegel (SPD) zwar an der Abbruchstelle - nach Langsdorf aber kam er nicht. Wirtin Baumgart hat einen Wunsch: »Ich möchte Frau Merkel hier haben. Sie soll mit dem Hubschrauber kommen - mit dem Auto geht ja nicht mehr.« Langsdorf gehört zu Merkels Wahlkreis.

Neben dem Wunsch, von der Politik ernst genommen zu werden, haben die Dorfbewohner eine klare Forderung: »Die alte Baustraße muss wieder her«, sagt Gisela Urlaub, die seit 27 Jahren eine Eisdiele betreibt. Das sehen auch die Baumgarts so. Der alte Weg, der beim Bau der A20 vor mehr als zehn Jahren benutzt wurde, ist für die Einwohner die Lösung der Probleme. Dann würde der Verkehr nicht mehr durch den Ort rollen. Doch die Straße wurde nach Fertigstellung der A20 abgerissen und ginge jetzt durch ein Vogelschutzgebiet.

Die Baustraße sei »Plan C« für den Fall, dass es mit der für Sommer 2018 in Aussicht gestellten Autobahn-Behelfsbrücke nichts werde, erklärt Normann. Derzeit werde der Bau geprüft und das Genehmigungsverfahren vorbereitet. Ab Ende November soll eine Behelfsausfahrt die Umleitung größtenteils überflüssig machen. Nur den Menschen in Langsdorf bringt das nichts, die Fahrzeuge müssen auch dann durch ihr Dorf fahren. Sie sehen neue Probleme, weil der Verkehr im Gegenverkehr über eine kleine Kreuzung rollen würde. »Wie sollen die Lkw da rumkommen«, fragt Urlaub. »Dann haben wir hier auch noch Stau, wenn die zusammenstoßen.«

Zu Unfällen kommt es jetzt schon. Am Mittwochmorgen landete ein Lastwagen kurz hinter Langsdorf im Straßengraben. Für die Bergung musste ein Kran geholt und die Umleitungsstrecke für eine Stunde gesperrt werden. Für Langsdorf eine Stunde mit deutlich weniger Verkehr.

Bei der Suche nach den Ursachen für den Zusammenbruch der Moorquerung der A20 soll auch der Einfluss der Moor-Wiedervernässung untersucht werden, hatte vor wenigen Tagen die CDU-Landtagsabgeordnete Beate Schlupp gefordert: »Wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen, um Fehler in der Zukunft vermeiden zu können.« Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums sagte, dass davon auszugehen sei, dass sich die Gutachten auch mit dieser Frage beschäftigen werden. Aus dem Umweltministerium hieß es, dass keine Moorschutzprojekte in unmittelbarer Nachbarschaft zur A20 umgesetzt wurden. Diese Angabe steht jedoch im Widerspruch zu einer Karte des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie, die für 2000 bis 2007 nördlich der A20 bei Langsdorf eine Moornaturierung ausweist. dpa/nd