nd-aktuell.de / 03.11.2017 / Politik

Haftbefehl gegen Puigdemont erwartet

Acht ehemalige katalanische Regierungsmitglieder bereits in Untersuchungshaft / Zehntausende protestierten gegen Vorgehen Madrids

Simon Sturdee, Madrid

Gegen den entmachteten katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont soll nach Angaben aus spanischen Justizkreisen erst im Laufe des Freitag ein europäischer Haftbefehl erlassen werden. Die zuständige Richterin Carmen Lamela werde den Haftbefehl noch ausstellen, sagte ein Justizvertreter in Madrid. Zuvor hatte Puigdemonts belgischer Anwalt Paul Bekaert im Fernsehen gesagt, der Haftbefehl sei nach Informationen seines Mandanten bereits ausgestellt.

Bekaert sagte dem flämischen Sender VRT am Donnerstag, Puigdemont habe ihn informiert, dass gegen ihn und vier Minister der abgesetzten katalanischen Regionalregierung, die sich ebenfalls in Belgien befanden, Haftbefehle ausgestellt worden seien. Die Ausstellung des europäischen Haftbefehls bedeute »in der Praxis, dass die spanische Justiz jetzt ein Auslieferungsgesuch an die Generalstaatsanwaltschaft in Brüssel schicken wird«, so Bekaert.

Puigdemont werde »natürlich« in Belgien bleiben, er habe den belgischen Behörden seine »volle Zusammenarbeit« zugesichert, erklärte Bekaert dem Fernsehsender. Sollte dem Auslieferungsantrag stattgegeben werde, werde Puigdemont dagegen in Berufung gehen.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte Lamela am Donnerstag Untersuchungshaft für acht Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regionalregierung angesetzt, die vor Gericht erschienen waren. Das Gericht begründete den Freiheitsentzug auch mit Fluchtgefahr.

Gegen die Politiker wird wegen der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kataloniens ermittelt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Bei einer Verurteilung drohen ihnen langjährige Haftstrafen.

»Das ist keine Justiz, sondern Diktatur«

Tausende Menschen gingen nach Bekanntgabe der Inhaftierungen in verschiedenen Städten Kataloniens auf die Straße, um gegen den Beschluss der Richterin zu protestieren. In der Hauptstadt Barcelona versammelten sich die Menschen vor dem Regierungspalast. Nach Polizeiangaben waren es rund 20.000. Sie skandierten »Befreit politischer Häftlinge« und »Das ist keine Justiz, sondern Diktatur«.

In Lleida wurde die Zahl der Demonstranten auf 3000, in Tarragona auf 5000 geschätzt. Unzählige Katalanen schlugen in der Nacht aus Protest auf Balkonen und von Fenstern aus spontan auf leere Töpfe. In Barcelona war der Lärm in vielen Stadtvierteln zu hören.

Der Staatsgerichtshof in Madrid hatte Puigdemont und die Mitglieder seiner Regierung für Donnerstag zu einer Anhörung vorgeladen. Der abgesetzte Regionalpräsident und vier seiner Minister ignorierten die Vorladung[1], woraufhin die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen sie beantragte.

Neun Mitglieder von Puigdemonts abgesetzter Regierung folgten am Donnerstag der Vorladung des Madrider Staatsgerichtshofs. Dort legte ihnen Spaniens Generalstaatsanwalt zur Last, unter Missachtung gerichtlicher Auflagen eine »aktive Aufstandsbewegung« entfacht zu haben.

Zum Abschluss der Anhörung ordnete die Richterin auf Antrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft für acht der Politiker an. Betroffen waren der abgesetzte Vize-Regionalpräsident Oriol Junqueras und sieben frühere Minister. Die Richterin begründete die Untersuchungshaft auch mit Fluchtgefahr und verwies dabei auf Puigdemonts Ausreise nach Belgien.

Ein achter Minister, Santi Vila, soll gegen Zahlung von 50.000 Euro auf freiem Fuß bleiben dürfen. Er war vor der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit zurückgetreten.

Puigdemonts katalanischer Anwalt Jaume Alonso-Cuevillas sprach von einem »schlechten Tag für die Demokratie«. Im Kurzbotschaftendienst Twitter schrieb er: »Alle im Gefängnis. Gefühl großer Ungerechtigkeit.« Puigdemont begründete in einer Erklärung sein Fernbleiben von der Madrider Anhörung damit, dass ihm in Madrid ein »politischer Prozess« gemacht werden solle.

Mit seinem Fernbleiben zog er sich Kritik aus Katalonien zu. Der Anwalt von zwei der vorgeladenen Parlamentarier sagte, Puigdemont hätte der Vorladung ebenfalls Folge leisten sollen. Der frühere Regionalabgeordnete Joan Josep Nuet nannte Puigdemonts Vorgehen im Radiosender Catalunya »verantwortungslos«.

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen forderte Puigdemont auf, sich der Justiz stellen. »Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat«, die Bürger in Katalonien würden nicht unterdrückt, erklärte Annen in der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Das katalanische Regionalparlament in Barcelona hatte vor einer Woche gegen den massiven Widerstand Madrids die Unabhängigkeit der Region im Nordosten Spaniens ausgerufen. Die spanische Zentralregierung setzte daraufhin die Regionalregierung ab und löste das Regionalparlament auf. AFP/nd

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1068762.puigdemont-bleibt-in-bruessel.html