nd-aktuell.de / 09.11.2017 / Berlin / Seite 11

Sauber aus dem Stau mit Bike, Bus und Bahn

Verkehrssenatorin Günther stellte vor IHK ihr Konzept einer integrierten Mobilitätsentwicklung für Berlin vor

Tomas Morgenstern

Der Durchschnittsberliner steht pro Jahr 107 Stunden im Stau. Die CO2-Emissionen im Verkehr sind in den vergangenen 27 Jahren nicht gesunken. 50 000 Menschen müssen in der Stadt sogar mit überhöhten Belastungen durch gefährliche Stickoxide leben. Die Fahrradinfrastruktur wiederum ist dramatisch überlastet. Die Zahl der Fahrradtoten ist von 2015 auf 2016 um 70 Prozent gestiegen.

Mit dieser Zustandsbeschreibung hat Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) am Mittwoch manchem Teilnehmer des »Wirtschaftspolitischen Frühstücks« der IHK Berlin den Kaffeegenuss getrübt. Günthers Thema lautete »Neue Mobilität für Berlin«. Dabei wurde deutlich: Es geht ihr nicht, wie oft unterstellt, um eine einseitige Bevorzugung des Fahrradverkehrs. »Wenn wir hier erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die Probleme benennen und sie sehr strukturiert angehen«, erklärte sie. Mit seinem Mobilitätskonzept stelle der rot-rot-grüne Senat die Weichen für die Zukunft, die Früchte aber würden erst in fünf oder sieben Jahren geerntet.

Berlin wachse jährlich um bis zu 50 000 Einwohner. »Das bedeutet mehr Verkehr«, so die Senatorin. »Aber die Struktur des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wurde in den letzten zehn Jahren deutlich vernachlässigt, sie ist zu langsam gewachsen. Wir haben einen hohen Nachholbedarf bei der Infrastruktur. Straßen, Brücken, Tunnel sind marode.« Allein in Berlin müsse schnellstmöglich ein Instandhaltungsrückstau von 1,3 Milliarden Euro beseitigt werden. Die Verkehrsinfrastruktur sei auch unausgewogen, biete Radlern und Fußgängern zu wenig Raum.

Zu wenig werde Mobilität im Zusammenhang der Metropolenregion Berlin-Brandenburg gedacht. Dies sei aber dringend erforderlich, um die dramatisch steigenden Pendlerzahlen zu bewältigen. »Täglich pendeln 300 000 Menschen nach Brandenburg, aber auch bis zu 180 000 von Brandenburg nach Berlin.« Im Oktober habe man daher mit dem Nachbar-Bundesland eine Mobilitätsstrategie bis zum Jahr 2030 abgestimmt. Dabei gehe es um die Ertüchtigung von acht gemeinsam definierten Bahnverkehrskorridoren ins Umland.

Dringend erforderlich sei es auch, Gefahrenstellen zu beseitigen, denn Berlin habe zu viele Unfälle und wieder deutlich mehr Verkehrstote. Auch die Luftverschmutzung wachse wieder. »Wie viele andere Städte kämpfen wir mit zu hohen Feinstaub- und giftigen Stickoxidwerten«, sagte sie.

»Unsere Grundidee ist: Wir wollen den Umweltverbund ins Zentrum stellen. Das heißt, wir wollen Alternativen zum motorisierten Individualverkehr schaffen«, sagte Günther. Mehr ÖPNV, mehr Fahrrad- und Fußverkehr. Auch der Wirtschaftsverkehr werde dann besser fließen. Berlin sei heute in der guten Lage, investieren zu können. Zugleich herrsche aber Personalnotstand. »Wir wissen, wir müssen handeln, aber es wurden die Verwaltungen teilweise entkernt.« In Bereichen, in denen es um Tief- oder Straßenbau geht, müsse Personal aufgebaut werden.

Es gehe derzeit darum, Entwicklungen aufzugreifen und zu gestalten. »Das Mobilitätsverhalten der Menschen ändert sich sowieso«, sagte Günther. Der Anteil der Menschen, die auf das Fahrrad oder den ÖPNV umsteige, nehme stark zu. Junge Menschen wollten zum Teil gar kein Auto mehr, sie stiegen auf Carsharing um. Daher werde in der Stadt die Radinfrastruktur ausgebaut, darunter geschützte Radwege und 100 Kilometern Radschnellstraßen. 100 000 neue Parkplätze und drei Parkhäuser für Fahrräder seien 2018 zudem geplant.

Die Senatorin kündigte zugleich massive Investitionen in Tiefbau, Straßen, Brücken und Tunnel sowie in den ÖPNV an. »Es wurden deutlich zu wenige S-Bahn-Wagen bestellt. Das wollen wir ändern«, sagte sie. Forciert werde der Ausbau der Straßenbahn, und eine Taskforce arbeite an der Beschleunigung von Buslinien. Längst nehme man sich auch der U-Bahn wieder an. Deutliche Effekte für die Luftreinhaltung verspricht sie sich von Tempo-30-Zonen auf Hauptstraßen. Für mehr Elektromobilität rechne Berlin mit einer Übergangsfrist von 15 Jahren. Die Stadt müsse ein belastbares Ladenetz erhalten. Im ÖPNV teste man E-Busse, für 2018 sei der Kauf von 30 Fahrzeugen geplant.