nd-aktuell.de / 18.11.2017 / Kultur / Seite 9

Lernen von Rechts

Um die Stärke der AfD zu brechen, muss die Linke ihr intellektuell die besseren Argumente entgegensetzen

Helge Buttkereit

Der Protest ist deutlich. Viel wird darüber geschrieben, dass die AfD vor allem aus Protest gewählt wird. Sie ist, das zeigte sich nach den Landtagswahlen nun auch bei der Bundestagswahl, die neue Protestpartei in West wie Ost. Damit hat sie den Staffelstab von der Grünen in den 1980er Jahren und zuletzt der LINKEN übernommen. So beschreibt Fabian Stepanek die politische Lage in Deutschland.

Der Berliner Journalist Fabian Stepanek geht mit dem Titel seines Buches »Wo die AfD recht hat ...« sogar noch einen Schritt weiter. Der Untertitel »und warum sie trotzdem Brandstifter sind« wird bei dieser Provokation kaum noch wahrgenommen, dabei sind beide Teile nicht zu trennen. Stepanek schreibt über die AfD und ihre Wähler: »Jeder, der derzeit sein Kreuz bei dieser Partei macht, wählt seine eigene AfD, oftmals ohne Kenntnis ihrer mittlerweile recht umfänglichen Programmatik«. Der Autor ist auf der linken politischen Skala zu verorten, dies wird bei der Lektüre deutlich. Mehr über ihn erfahren wir nicht, denn der Name, der auf dem Buchdeckel steht, ist ein Pseudonym.

Stepanek fehlt der vernünftige Diskurs über die drängendsten Gesellschafts-, Gegenwarts- und Zukunftsprobleme, über Fragen wie Zuwanderung, EU-Integration und Islam. Laut Stepanek ist die AfD wegen der fehlenden Debatte über diese Themen entstanden. Es sind Themen, mit denen insbesondere die politische Linke Probleme hat. Sie will antirassistisch sein, weiß aber, dass Migranten die »industrielle Reservearmee« vergrößern. Sie will weltoffen und antinationalistisch sein, weiß aber, dass die EU ein Projekt des Kapitals ist. Und sie verteidigt den Islam, obwohl sie weiß, dass es im Islam zumindest faschistische Tendenzen gibt. So werden diese Themen tabuisiert und ein Diskurs unter Verzicht auf vermeintlich unumstößliche Gewissheiten, den sich Stepanek wünscht, ist kaum möglich.

Das war in Deutschland einst anders. In der Weimarer Republik fanden Diskussionen zwischen der intellektuellen Linken und der intellektuellen Rechten statt. Heute würde die Linke den Rechten nicht einmal mehr ein solches Adjektiv zugestehen. Zwischen 1918 und 1933 indes führten prominente Vertreter der linken Publizistik wie der Pazifist und Sozialist Kurt Hiller mit Konservativen und Nationalisten - einige von ihnen wurden später von der NSDAP verfolgt, andere schlugen sich auf deren Seite - die offene Auseinandersetzung über die besseren Argumente.

Hiller veröffentlichte beispielsweise 1932 in der »Weltbühne« den Artikel »Linke Leute von rechts«: »Wer taugt mehr, ein kommunistischer Nichtdenker oder ein nationalistischer Selbstdenker? Möge Jeder diese Frage nach seinem Privatgeschmack beantworten (oder besser: nach andern Kriterien als denen des Geschmacks); allgemeingültig scheint mir zu sein, dass Selbstdenker, mögen sie auftauchen in welcher politischen Gegend auch immer, ernster Beachtung wert sind - zumindest in einer Epoche, deren herrschende Politik-Gruppen ein so erbärmliches intellektuelles Niveau zeigen (und daher so schaurige Resultate hervorbringen) wie die großen Parteien in diesem Deutschland: jene alten Vereine, die sich das Gesetzgebungsmonopol teilen, und jene jüngeren, ebenso fragwürdigen, die es ihnen entreißen wollen.«

Fast scheint es, Hiller beschreibe die politische Kultur des heutigen Deutschlands. Die AfD ist, um Hillers Worte zu nutzen, ein solch fragwürdiger neuer Verein, der den alten das Gesetzgebungsmonopol zu entreißen sucht. Die AfD agiert als notwendigerweise wandelbare Antwort auf den Eindruck, Elite und Volk entfernten sich immer weiter voneinander. So habe, schreibt Stepanek, auch die Linke mittlerweile den Kontakt zu denjenigen verloren, »die auf eine teilweise diffuse Art und Weise dem ganzen System misstrauisch bis ablehnend gegenüberstehen«.

Die Themen und Ängste werden aber nicht diskutiert, sondern tabuisiert und die AfD fungiert als gern gesehener Tabuverstärker. Eben weil die Partei nach rechts bis in völkische und gar neonazistische Kreise geöffnet ist, was Stepanek scharf kritisiert, werden aus der Sicht von großen Teilen der veröffentlichten Meinung alle anderen Programmpunkte kontaminiert. Und wer mit anderen Zielen das Gleiche wie die AfD kritisiert, der wird zum Rechtsaußen und es wird psychologisiert. Wer Kritik an den gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Islam übt, gilt in der Linken schnell als islamophob.

In einer solchen Situation sind, um Hillers Worte zu benutzen, Selbstdenker nötig. Wo sie von von links fehlen, können sie von rechts »Selbstdenker« leichter in den öffentlichen Raum vorstoßen. Sie sympathisieren mit der AfD, beraten sie zum Teil, betreiben ansonsten aber Metapolitik. So zumindest benennt der rechte Verleger Götz Kubitschek seinen an den französischen Theoretiker Alain de Benoist unter Rückgriff auch auf Gramsci angelehnten Ansatz, den er bereits seit vielen Jahren beharrlich verfolgt und der nun Früchte zu tragen scheint.

Bei der Metapolitik gehe es darum, »Werte, Bilder und Themen zu popularisieren, die mit der bestehenden Ordnung brechen«, so fasst es der linke Soziologe und Journalist Thomas Wagner zusammen. Er hat mit Kubitschek und weiteren Vertretern der Neuen Rechten gesprochen, ihre grundlegenden theoretischen Texte gelesen. Wagner ergründet in seinem Buch »Die Angstmacher« auch, wie sehr die Neue Rechte von der Neuen Linken aus der Zeit der außerparlamentarischen Opposition der 1960er Jahre beeinflusst wurde. Die Rechten haben beispielsweise die provokativen Protestformen der Linken übernommen.

Dabei wird in den gut 300 Seiten von Wagners Buch nicht immer ganz klar, wofür die Neue Rechte steht. Klarer wird, wogegen sie ist. Demokratie sei nur möglich, wenn es eine gewisse Homogenität im Volk gebe, sagt Kubitschek. Dessen Lektor Benedikt Kaiser kritisiert den globalen Kapitalismus sowie die Interventionskriege und nimmt die soziale Frage in den Blick. Kubitscheks Verlag Antaios wiederum veröffentlicht, so der Historiker Volker Weiß, »eher klassisch faschistisches Gedankengut als spezifisch nationalsozialistisches«.

Die Frage, wie die Rechte ihre andere Politik organisieren will - abseits von Parteipolitik und begleitendem außerparlamentarischem Druck, wie es Kubitschek vorschwebt - fehlt in Wagners Buch. Vielleicht stellt er sie nicht, weil die Linke selbst derzeit schwach aufgestellt ist. Der Linken - nicht nur der Partei mit diesem Namen - fehlt es an einer Strategie mit einem langfristigen Ziel, das mit dem rechten Konzept der Metapolitik vergleichbar ist. Sie ist in einer Verteidigungshaltung gefangen und kann so der offensiven Strategie der Neuen Rechten kaum inhaltlich begegnen. Der von einigen Seiten geforderte »linke Populismus« wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung, wenn er die drängenden Fragen der Gesellschaft aufnimmt und auf das Ziel einer neuen Form von Politik ausrichtet.

Fabian Stepanek: Wo die AfD recht hat … und warum sie trotzdem Brandstifter sind. Gemini Verlag, 124 S., 9,99 €. Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau Verlag, 351 S., 18,95 €.