nd-aktuell.de / 20.11.2017 / Politik

Wie geht es weiter nach dem Scheitern?

Im politischen Berlin kursieren drei Szenarien / Trittin: Wenn Neuahlen, dann um Ostern herum

Berlin. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen bricht im politischen Berlin an diesem Montag hektische Betriebsamkeit aus. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), dem für den weiteren Fortgang der Geschehnisse eine Schlüsselrolle zukommt, hat seinen für Montag geplanten Antrittsbesuch in Nordrhein-Westfalen abgesagt. Das bestätigte das Bundespräsidialamt auf Anfrage. In der Nacht hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigt, sie wolle am Montag mit Steinmeier über die Lage nach dem Abbruch der Sondierungsverhandlungen sprechen.

CSU-Chef Horst Seehofer will mit dem Vorstand der Christsozialen am Montag in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen nach dem Scheitern der Gespräche beraten. Es werde um 11.00 Uhr die Telefonschalte geben, dort werde alles Weitere besprochen, hieß es aus CSU-Kreisen. Wann der Parteivorstand und die Landtagsfraktion tagen, steht bisher noch nicht fest.

Seehofer steht wegen eines Machtkampfs um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten auch persönlich unter Druck. Er wollte eigentlich nach dem Abschluss der Sondierungsphase einen Zeitplan für eine Lösung des Führungsstreits in der CSU präsentieren. Ob er an diesem Plan in der derzeitigen Situation festhält, stand zunächst noch nicht fest. Sowohl Bayerns Finanzminister Markus Söder als auch Wirtschaftsministerin Ilse Aigner streben nach dem Amt des Ministerpräsidenten.

Drei mögliche Szenarien nach dem Scheitern der Sondierungen

Eine schwarz-rote Koalition und damit die Neuauflage einer Großen Koalition ist rechnerisch möglich. Theoretisch könnten CDU, CSU und SPD also Verhandlungen aufnehmen. Die SPD ist aber nicht bereit für eine Neuauflage der »GroKo«. Am Freitag schloss die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles das Bündnis erneut aus. Auch Parteichef Martin Schulz sieht die SPD nur in der Opposition.

Auch der stellvertretende SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel hat nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin weiter ausgeschlossen. »Die SPD ist nicht das Ersatzrad am schlingernden Wagen von Frau Merkel«, sagte Schäfer-Gümbel dem Radiosender hr-iNFO am Montagmorgen. »Ich bin heute Morgen noch nicht in der Situation zu sagen, wie wir uns jetzt selber aufstellen, außer dass wir nicht Ersatzspieler sein werden«, so der Vorsitzende der hessischen SPD. Einer Minderheitsregierung werde sich die SPD aber nicht verschließen.

Einer möglichen Minderheitsregierung aus CDU/CSU und FDP fehlen 29 Sitze zur Mehrheit im Bundestag. Schwarz-Gelb müsste also bei Abstimmungen auf Stimmen aus den anderen Fraktionen hoffen. Das Gleiche gilt für Schwarz-Grün; hier fehlen 42 Sitze zur Mehrheit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist jedoch keine Freundin wechselnder, unsicherer Mehrheiten. Eine Minderheitsregierung hat es nach einer Bundestagswahl noch nie gegeben, eben weil sie so riskant ist.

Blieben als dritte Option noch Neuwahlen. Der Weg dorthin ist verfassungsgemäß kompliziert: Vor eine Neuwahl unter den aktuellen Umständen hat das Grundgesetz nämlich die Kanzlerwahl gestellt.

Der Bundespräsident muss zunächst jemanden für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Diese Person wird Kanzler(-in), wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages für sie stimmen (»Kanzlermehrheit«). Bisher wurden alle Kanzler der Bundesrepublik in diesem ersten Wahlgang gewählt.

Findet der Vorschlag des Bundespräsidenten keine Mehrheit, beginnt die zweite Wahlphase. Der Bundestag hat jetzt zwei Wochen Zeit, sich mit absoluter Mehrheit auf einen Kanzler zu einigen. Die Anzahl der Wahlgänge ist nicht begrenzt, ebenso wenig die Anzahl der Kandidaten. Dem Bundestag steht es also frei, die zwei Wochen ungenutzt verstreichen lassen - oder etwa fünfzehn Mal zu versuchen, einen Kandidaten zu wählen.

Kommt auch in diesen zwei Wochen keine Kanzlermehrheit zustande, beginnt die dritte Wahlphase. In diesem letzten Wahlgang reicht schon die relative Mehrheit. Gewählt ist also, wer von allen Kandidaten die meisten Stimmen gewinnt.

Nun muss wieder der Bundespräsident handeln. Wird jemand nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident sie zur Kanzlerin oder ihn zum Kanzler einer Minderheitsregierung ernennen - er kann aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.

Der an den Sondierungen maßgeblich beteiligte Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin hält Neuwahlen für wahrscheinlich – aber der Weg dorthin wäre wie aufgezeigt langwierig: »Ich rechne damit, dass es gegen Ostern Neuwahlen gibt«, sagte Trittin am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Er glaube, dass es sehr auf die Haltung des Bundespräsidenten ankomme. Dieser werde in seine Überlegungen einbeziehen, dass Deutschland auf Grund seiner politischen und wirtschaftlichen Macht für Stabilität in Europa stehe. Er habe Zweifel daran, dass eine Minderheitsregierung dies gewährleisten könne, da sie keine verlässlichen Mehrheiten habe. nd/mit Agenturen