nd-aktuell.de / 22.11.2017 / Politik / Seite 1

Herrschaft des Konjunktivs

Wolfgang Hübner über eine Chance des Parlamentarismus

Wolfgang Hübner

Der Bundestag hat seine praktische Arbeit aufgenommen - acht Wochen nach der Wahl. Na immerhin. Mit der ersten Sitzung nach der Konstituierung zeigte das Parlament gleich mal, wo die Prioritäten liegen: im Abwarten. Ein Hauptausschuss übernimmt vorläufig alles, was die zuständigen Fachgremien zu erledigen hätten. Mit denen aber wartet man wohl, bis eine Regierung da ist. Wann das sein wird? Noch vor Weihnachten? Erst im Frühjahr? Keiner weiß es. Strittige Fragen werden im Hauptausschuss zwischengelagert. Am einfachsten wird wohl die Verlängerung diverser Auslandseinsätze der Bundeswehr geregelt. Ein paar Kontinuitäten muss es ja geben.

Ansonsten könnte jetzt die Stunde der parlamentarischen Kreativität schlagen. Könnte. Denn wer sagt, dass ein Parlament erst voll arbeitsfähig ist, wenn die Regierung steht? Die Legislative, also vor allem der Bundestag, könnte jetzt Beschlüsse fassen und Aufträge erteilen, an die sich die Exekutive, also maßgeblich die Regierung, zu halten hat. Die amtierende und die nächste, reguläre. Die Abgeordneten, die ja laut Grundgesetz »nur ihrem Gewissen unterworfen« und vielleicht noch dem Wahlprogramm ihrer Partei verpflichtet sind, könnten drängende Fragen beantworten. Wo es in Einzelfragen Mehrheiten gibt, könnte entschieden werden, frei von Koalitionsdisziplin und Oppositionstaktik. Ein Fenster der parlamentarischen Freiheit steht offen. Aber leider regiert, ganz ohne Sondierungen, vor allem: der Konjunktiv.