nd-aktuell.de / 25.11.2017 / Kultur / Seite 9

Asymmetrisches Gedenken

In der Ausgabe der »FAZ« vom 23. November dieses Jahres veröffentlichten Aufsichtsrat, Vorstand und Belegschaft der Daimler AG, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) großflächige Anzeigen. Sie erinnerten an die Ermordung von Bahide und Yeliz Arslan sowie Ayse Yilmaz. Die damals 51-jährige Bahide und ihre beiden zum Tatzeitpunkt zehn und 14 Jahre alten Enkeltöchter fielen in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 in der niedersächsischen Kleinstadt Mölln einem neonazistisch motivierten Brandanschlag zum Opfer. In der Anzeige zum Gedenken an die Ermordeten hieß es, der Tod der drei Menschen habe »uns alle ratlos zurückgelassen«, und die Lücke, die die Toten hinterlassen hätten, könne »nie geschlossen werden«.

Stopp! Anzeigen dieses Tenors konnte man weder in der Donnerstag-Ausgabe der »FAZ« noch in anderen Publikationen finden. Die Formulierungen stammen aus den Gedenkanzeigen zum 40. Jahrestag der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vom 18. Oktober 2017. Das Erinnern an den Terror ist immer noch asymmetrisch. Während der Nachname Schleyer sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat (und dank der RAF im öffentlichen Bewusstsein Schleyers Mitgliedschaft in der SS ausgeblendet wird), muss an die in Mölln Ermordeten immer noch mit Nachdruck erinnert werden, damit sie nicht dem Vergessen anheimfallen.

Die Ähnlichkeiten zum Umgang mit der Erinnerung an die Toten des NSU sind frappierend. Wer kennt schon die Namen der Opfer Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat? Allenfalls mit dem Namen Michèle Kiesewetter könnten Menschen bei einer Umfrage in einer beliebigen deutschen Fußgängerzone wohl etwas anfangen. Und auch die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden weisen Ähnlichkeiten auf; auch im Fall von Mölln gingen die Ermittler zunächst davon aus, dass der oder die Täter im Kreis der Familie zu suchen seien. Faruk Arslan, der bei dem Anschlag seine Mutter, seine Tochter und seine Nichte verloren hat, galt als Verdächtiger. Bis heute, so Arslan dieser Tage gegenüber der Tageszeitung »Taz«, warte er auf eine Entschuldigung. jam Foto: dpa/Daniel Bockwoldt