nd-aktuell.de / 03.12.2017 / Kommentare

»Die LINKE muss Kontroversen in der Sache bearbeiten«

Plädoyer für eine politische Auseinandersetzung in den Streitfragen Flüchtlingspolitik, Umgang mit der AfD und Wählermilieus. Ein Gastbeitrag von Katja Kipping

Katja Kipping

Mit dem Scheitern der Schwarzen Ampel ist offensichtlich geworden, dass keine der zwei alten Volksparteien ohne die andere eine Mehrheitskoalition bilden kann. Wir erleben also eine offene Situation, der wir uns voll Zuversicht stellen können. Voll Zuversicht auch deshalb, weil unsere Partei das Potential hat, viel größer zu werden und über sich hinauszuwachsen – zu einer linken Friedens- und Gerechtigkeitspartei für alle. Zur ersten Adresse für Abgehängte, Beschäftigte, Kapitalismuskritiker*innen, Weltoffene, linke Sozialdemokrat*innen wie linke Grüne. Dazu müssen wir jedoch unsere Art, Konflikte zu bearbeiten, verändern.

In Zeiten von marktförmig verschlankten Redaktionen verkauft sich jeder Konflikt leichter als Machtkampf denn als inhaltliche Kontroverse[1]. Insofern halten Medien nach solchen Erzählungen Ausschau. Wir aber sollten diesen medialen Theaterdonner nicht bedienen. Ich plädiere vielmehr dafür, dass wir die Kontroversen in der Sache aufmachen, anstatt die Erzählung vom Machtkampf zu bedienen.

Die aktuellen Kontroversen unter uns sind schließlich auch Ausdruck eines Ringens. Wir zerren aneinander, weil wir uns gegenseitig von der richtigen Richtung überzeugen wollen. Ich meine, dass wir es nur zusammen können. Im Wesentlichen geht es um folgende vier Fragen in der Sache: 1. Wie umgehen mit den Rechten? 2. die Flüchtlingsfrage, 3. die Frage nach dem Charakter der Partei und 4. die Milieufrage.

Wenn wir das Verbindende mehr in den Mittelpunkt stellen als das Trennende, dann kann uns die Bearbeitung dieser Fragen in der Sache voran bringen. In diesem Sinne stelle ich im Folgenden meine Position zu diesen Fragen dar.

1. Zur AFD-Frage: Klare Kante gegen rechts, ohne dem liberalen Fahnenappell zu folgen

Unter keinen Umständen dürfen wir die Gefährlichkeit der rechten Hetzer bagatellisieren. Hier gilt es klare Kante zu zeigen. Zugleich sollten wir jedem wohlfeilen Appell widerstehen, wonach wir alle uns im Namen des Liberalismus gegen die Rechte zu vereinen haben. Nein, so einfach darf sich die LINKE nicht in die liberale Konsensdemokratie eingliedern lassen. Vielmehr sollten wir jene stellen, die die grenzenlose Freiheit der Ausbeutung und ungezügelten Reichtumsvermehrung befördern.


2. Zur Flüchtlingsfrage: Konkretisieren ja, Korrigieren nein

Diese Frage möchte ich sowohl normativ als auch wahltaktisch bearbeiten. Normativ gilt: Alle Menschen haben Rechte, unabhängig von ihrer Herkunft. Schon deshalb sollte eine LINKE immer deutlich machen, die Grenze verläuft nicht zwischen Nationen sondern zwischen Klassen – beziehungsweise zwischen oben und unten.

Zum gesellschaftlichen Kräfteverhältnis: Die LINKE ist im Parteienspektrum die letzte verbliebene Bastion der Flüchtlingssolidarität. Wenn wir hier unsere Position korrigieren, wird dies nachhaltig die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der Flüchtlingssolidarität verschieben.

Zum Wahltaktischen: Sobald als zentrale Konfliktdimension »Deutsche versus Nicht-Deutsche« aufgerufen ist, verlieren wir bei den Unentschiedenen. Fürs Gewinnen der Unentschiedenen gilt es vielmehr die sozialen Konfliktdimensionen zu stärken: Als Mieter gegen Miet-Haie, als Beschäftigte gegen Befristungen oder als Erwerbslose gemeinsam gegen Hartz-IV-Sanktionen. Eine Korrektur unserer Flüchtlingspolitik würde nur weiter die Konfliktlinie »Deutsche versus Nicht-Deutsche« stärken und uns wahltaktisch nicht helfen.
Sicherlich, im Einzelnen, zum Beispiel bei der Frage, wie wir die Vision Bewegungsfreiheit für alle angesichts des globalen kapitalistischen Ausbeutungsgefälle umsetzen können, können wir in demokratischen Prozessen Positionen konkretisieren.

Wir müssen uns auch deshalb nicht korrigieren, weil wir als einzige von Anfang an die Flüchtlingssolidarität eng verbunden haben mit dem Bekämpfen von Fluchtursachen und dem Einsatz für eine soziale Offensive für alle. Wir haben als einzige von Anfang an deutlich gemacht, dass die Herausforderungen der Flüchtlingssolidarität von den Superreichen zu finanzieren und nicht von den Armen wegzutragen sind.

Ja, in der Flüchtlingsfrage gilt es, sich dem aktuellen, rechten Zeitgeist entgegenzustemmen. Zu Hochzeiten des Neoliberalismus taten wir das auch. Das war nicht immer einfach. Letztlich hat unsere Standhaftigkeit dazu beigetragen, dass der Neoliberalismus in die Krise kam. Damals waren fast alle für Privatisierungen, heute hat es diese Position deutlich schwerer. Also lassen wir uns vom heutigen Zeitgeist nicht einschüchtern.

3. Zum Charakter der Partei: Für eine demokratische LINKE

Oskar Lafontaine hat nun die Idee einer neuen »Sammlungsbewegung« nach dem französischen Vorbild von Jean-Luc Mélenchon in die Debatte gebracht. Ich meine, dass eine linke Sammlungsbewegung in Deutschland bereits besteht: die LINKE. Nicht zuletzt bei der Zukunftswoche ging es vor zwei Jahren und wird es im September 2018 auch darum gehen, was wir von Podemos und der Momentums-Bewegung um Corbyn lernen können.

Doch sprechen wir darüber, was das Modell Mélenchon bedeutet. Es ist eine auf eine Person zugeschnittene Wahlformation. Solche Formationen haben gerade Konjunktur: Denken wir nur an Macron in Frankreich oder an die LISTE Kurz in Österreich.

Die Kehrseite von Mélenchons Erfolg ist, dass diese Bewegung von seiner Positionsfindung abhängig ist. Wer eine andere Meinung hat, für den gibt es kaum Möglichkeiten für Widerspruch oder dafür, eine andere Meinung mehrheitsfähig zu machen. Zudem droht der politische Ansatz von Mélenchon die Menschen nicht zu ermächtigen, sondern er spricht lediglich in ihrem Namen.

Gerade linke, emanzipatorische Parteien sollten als aktive Mitgliederparteien organisiert sein, in denen in demokratischen Verfahren um gemeinsame Positionen gerungen wird.

4. Zur Milieufrage: Gemeinsame Interessen betonen

Die Politik der Herrschenden basiert darauf, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen: Prekäre gegen Kernbelegschaft, Erwerbslose gegen illegalisierte Migrant*innen usw. Aufgabe einer linken Kraft ist es, diesem Mechanismus entgegen zu wirken und vielmehr die gemeinsamen ökonomischen Interessen zu betonen.

Unsere Wahlstrategie sah vor, dass wir die verschiedenen Milieus ansprechen. Dementsprechend war auch unsere Praxis im Wahlkampf. Für mich hieß das z.B. früh vors JobCenter, abends vors Kino und tagsüber zu Gewerkschaftsaktionen oder in die Wohnviertel, wo ich bei Haustürbesuchen auch in Hausflure kam, in denen einen die Perspektivlosigkeit anspringt. Nun wird der Partei vorgeworfen, sie habe allein die Hipster angesprochen. Unsere Strategie wie Praxis widerlegen dies.

Es wäre kurzsichtig, Milieus gegeneinander zu rechnen[2]. Wir haben als einzige Partei die Chance, das zusammenzubringen, was diese Gesellschaft spaltet[3]. Den weltoffenen Milieus müssen wir sagen: Eure Weltoffenheit ist nur dann eine Freiheit, wenn sie sozial gerecht für alle ist. All jenen, die sich von der Politik nur noch betrogen fühlen, müssen wir sagen: Wir werden eure Lage nur verbessern, wenn wir uns mit den Superreichen anlegen. Das Treten nach unten, gegen Flüchtlinge, lenkt davon ab. Es wird keine soziale Gerechtigkeit ohne das Recht auf Verschiedenheit geben.

Wenn wir das zusammenbringen, was diese Gesellschaft auseinandertreibt, haben wir das Potential über uns hinaus zu wachsen. Wagen wir es. Für eine LINKE auf der Höhe der Zeit, die sich nicht vom Zeitgeist treiben lässt, sondern vielmehr diesen nach links verschiebt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1071703.die-linke-migration-und-die-klasse-es-geht-nicht-um-wagenknecht-es-geht-um-die-zukunft-linker-politik.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1067607.debatte-in-der-linken-getrennte-lebenswelten.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1068309.debatte-in-der-linken-es-gibt-keine-deutsche-arbeiterklasse.html