nd-aktuell.de / 11.12.2017 / Kultur / Seite 15

Ein überwältigendes skandinavisches Duo

Das Rundfunk-Sinfonie Orchesters Berlin lud zu einem nordischen Abend ein - mit Sibelius und Nielsen

Rainer Balcerowiak

Die Wahrnehmung nordischer Musik ist weitgehend von drei großen Komponisten bestimmt. Allen voran der finnische Sinfoniker Jean Sibelius, gefolgt von dem Norweger Edvard Grieg und dem Dänen Carl Nielsen. Alle drei bewegten sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Spannungsfeld zwischen Spätromantik und Moderne, gleichermaßen auf der Suche nach neuen Tonsprachen und Bezügen zur nationalen Musiktradition und Mythologie.

Wie zuvor Sibelius wagte sich auch Nielsen in eine der Königsdisziplinen der klassischen Musik. Violinkonzerte vereinen seit der Wiener Klassik und der Romantik die formale Strenge einer mehrsätzigen Sinfonie mit der Virtuosität einer Solostimme, wobei dieser bei Nielsens Werk eine genreuntypisch dominante Rolle zukommt, zumal er auf die sonst üblichen Orchester-Ritornelli verzichtet. Sein 1912 uraufgeführtes Violinkonzert op. 33 war zunächst sehr erfolgreich, wurde aber später aufgrund seines extremen Schwierigkeitsgrades recht selten gespielt und gelangte erst 1952 durch eine Aufnahme von Yehudi Menuhin wieder zu einer gewissen Bekanntheit außerhalb Skandinaviens. Umso erfreulicher, dass es am Sonnabend im Mittelpunkt eines »nordischen Abends« des Rundfund-Sinfonie Orchesters Berlin (RSB) im Konzerthaus am Gendarmenmarkt unter der Leitung des finnischen Dirigenten Osmo Vänskä stand. Die russische Geigerin Alina Pogostkina widmete sich dieser Herausforderung mit Verve und schier überschäumender Spielfreude.

Es beginnt mir einer nahezu berstenden Solokadenz voller rasender Läufe durch alle Register der Geige und mächtigen Akkordgriffen, die das Orchester anfangs nur mit einem Orgelpunkt trägt. Allmählich lösen sich Blechbläser und Streicher aus ihrer scheinbaren Erstarrung, formulieren kleine Motive, die dann von der Sologeige aufgenommen und in einer weiteren virtuosen Solokadenz ausgespielt und variiert werden. Den zweiten Satz eröffnet ein zaghaft-träumerisches Flehen um Ruhe und Besinnung, das im Scherzo dann in einen wilden, fast ekstatischen Tanz mündet, bevor eine weitere Solokadenz der Geige, diesmal in Sonatenform, eine mächtige, präzise Reprise des Gehörten im Finale einleitet. Tosender Applaus belohnte diese große Leistung der Solistin, des Dirigenten und des Orchesters.

Begonnen hatte der Abend mit der sinfonischen Dichtung »En Saga« von Sibelius, einem eher kontemplativen und recht düsteren Werk. Es lag nahe, dass nach der Pause die 3. Sinfonie dargeboten wurde, die eine gewisse Zäsur im Schaffen des finnischen Nationalkomponisten darstellt und einen Spiegel seiner intensiven Auseinandersetzung mit den mitteleuropäischen Klassikern und Romantikern darstellt. Den wilden, leidenschaftlichen, von Weltschmerz und trotzigem Heroismus geprägten ersten beiden Sinfonien folgte 1907 ein Schritt aus Dunkelheit und Verzweiflung ans Licht, gepaart mit einer partiellen Hinwendung zu nahezu klassizistischer Strenge - jedenfalls für seine Verhältnisse.

Dennoch bleibt es stets ein »finnisches« Werk, mit Ausflügen in archaische Mollkadenzen und den bei Sibelius oft anzutreffenden Rückgriffen auf die Polka als rhythmisches Motiv. Doch stets vermeint man das Augenzwinkern zu sehen, mit dem Sibelius kleine Zitate von Beethoven, Haydn, Brahms oder auch Franz Liszt benutzt, um seine eher herbe Tonsprache zu bereichern, ohne sich an die gängigen Konventionen sinfonischer Satzweise anzubiedern. Ein Schüsselwerk, das die hochkomplexen harmonischen Wucherungen der späteren Sionfonien vorwegnimmt.

Vänskä, einer der besten Sibelius-Kenner, führt das Orchester präzise und feinfühlig durch die motivischen Ideen und die kontrastreiche Orchestrierung bis hin zu dem nahezu strahlenden Finale in C-Dur. Dass man ausgerechnet eine Sibelius-Sinfonie fast schon als »Easy Listening« empfinden kann, gehört zu den Erkenntnisgewinnen dieses wunderbaren Konzertabends. Und das ist - ausnahmsweise - kein bisschen negativ gemeint. Im Gegenteil.