Gutes Gewissen im Laternenschein

Auf dem Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt sind kommerzielle Anbieter tabu

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

»Drängeln sie doch nicht so!«, ruft die Frau mit der grünen Daunenjacke, während sie sich umdreht. »Wir drängeln doch gar nicht!«, zischt es von einer Frau zurück, mit roter Jacke und zehnjährigem Knaben an der Hand. In Trippelschritten geht es stellenweise über den Weihnachtsmarkt Alt-Rixdorf, der alljährlich rund um den Neuköllner Richardplatz stattfindet. Drei Mädchen einer Berliner Oberschule singen für ihre Abschlussfahrt, »O Du fröhliche« schallt es dreistimmig. Auf der Bühne wird eine rockigere Variante gängiger Weihnachtslieder gespielt.

150 Stände sind dieses Jahr zum 45. Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt angemeldet, der jeweils nur am zweiten Adventswochenende stattfindet. Das Besondere: Ausstellen dürfen nur gemeinnützige Vereine und karitative Einrichtungen, gewerbliche Anbieter sind ausgeschlossen.

Beleuchtet werden die Stände nur mit Petroleumlampen, die vom Technischen Hilfswerk bereitgestellt und während der Veranstaltung kontinuierlich nachgefüllt und gewartet werden. Das schafft ein durchaus stimmungsvolles Ambiente, aber auch ein paar Probleme. Claudius Klose vom Verein »Vamos Juntos«, dreht an einem Regler der Lampe an seinem Stand. Immer wieder flackert die Flamme, droht auszugehen, dann lodert sie kurzzeitig aus der Luftöffnung, um dann gänzlich zu erlöschen. »Jetzt hast du den Druck abgelassen«, kommentiert ein Besucher.

»Vamos Juntos« setzt sich vor allem für Schuhputzer in Bolivien ein erklärt, Klose. Mehrere Male war er selbst als Freiwilliger dort, um die dortige Arbeit zu unterstützen. »Wir geben Anleitung, finanziell besser zu planen und organisieren Zahnpflege«, so Klose. Von den Schuhputzern selbst gestaltete Karten und kleine Täschchen und Tücher aus dem Andenland bieten die Aktivisten an ihrem Stand für wenige Euro an.

Ein paar Schritte weiter röstet die Initiative »Eltern helfen« Mandeln auf offenem Feuer und in großen Metallschalen. Die »Deutsch-Madegassische Gesellschaft« wirbt für die Unterstützung einer Grundschule in Anosivola, da Kinder dort oft nicht die Möglichkeit haben eine Schule zu besuchen. Die Schule ist frei, und es gebe ein kostenloses Mittagessen für die Schüler, erfährt man. Zu kaufen gibt es Krippenspiele in Holz. Das Therapeutische Übergangswohnheim Lankwitz der Arbeiterwohlfahrt präsentiert Keramik und Holzspielzeug. Dort leben Menschen mit schweren psychischen Krankheiten erklärt eine Mitarbeiterin.

Am Glühweinstand wird es noch enger, als es sowieso schon ist. Nora steht dort mit ihren Eltern, die aus Finnland angereist sind. In den Händen dampfende Becher. »Hier ist noch ein richtiger klassischer Weihnachtsmarkt, das gefällt mir«, sagt sie. »In Finnland heißt Glühwein Glögg und wird mit Johannisbeersaft zubereitet«, so ihr Vater Onni. »Oder mit Wodka«, lacht Nora.

Der Weihnachtsmarkt ist mittlerweile auch für viele Touristen eine Attraktion. Aus dem Stimmengewirr ist Türkisch, Englisch, Französisch und eben auch Finnisch zu hören. In einer Seitengasse befindet sich der Stand der »Fahrradgang«. Ein gemeinnütziger Verein, der kostenlose Fahrräder für Flüchtlinge und andere Bedürftige organisiert. Saleh kommt aus Syrien und hat vor einiger Zeit selbst ein Fahrrad von der Gruppe bekommen, die bereits seit sechs Jahren in Köln und Berlin existiert. Jetzt hilft er selbst mit. Saleh: »Jeden Montag können Fahrräder in die Nogatstraße gebracht werden, dann reparieren wir sie zusammen mit anderen Geflüchteten und geben sie weiter.«

Weihnachtliche Trompetenmusik klingt beim Gehen entfernt ins Ohr, die Hände sind noch warm vom Glühweinbecher und das Herz erwärmt von der Freude über das vielfältige Engagement, die erleuchteten Bäume rund um den Richardplatz und die Petroleumlampen funkeln beim Zurückschauen.

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