nd-aktuell.de / 12.12.2017 / Kommentare / Seite 4

»Wir sind zu viert ...

Kathrin Gerlof über die schrumpfende Europäische Union und einen fragwürdigen Begriff von Solidarität

Kathrin Gerlof

... damit wir nur zur Seite rollen müssen, um nicht mehr allein zu sein, und damit es egal ist, auf welche Seite wir uns rollen, weil überall jemand liegt.« Die Schriftstellerin Ronja von Rönne hat in ihrem Roman »Wir kommen« nicht über die Europäische Union geschrieben. Aber diese Beschreibung über vier Menschen, die nicht genau wissen, wozu sie eigentlich auf der Welt sind, einmal hochgerechnet auf 28, klingt irgendwie zutreffend. Der kleinste gemeinsame Nenner des Staatenbundes, der wie eine Familie funktioniert, in der alle sich irgendwie nicht leiden können, aber auch nicht wissen, was sie ohneeinander täten, scheint der Tatsache entsprungen, dass allein eben noch scheißer ist. (Das ist geklaut, der Fußballer Erik Meijer hat gesagt: Es ist nichts scheißer als Platz zwei.)

Jean-Claude Juncker hat in der vergangenen Woche seine Pläne zur Vertiefung der Währungsunion vorgestellt. Der Mann ist optimistisch, dass die Union in seiner Lesart zu reformieren ist. Also nicht unbedingt in Richtung mehr Demokratie, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Mehr Demokratie ist was für eingetragene Vereine und spinnerte Köpfe, die bereit sind, mit einem selbstgehäkelten Pass durch die ganze Welt reisen zu wollen.

Juncker und Macron - das ist der, der Frankreich erneuern will - setzen darauf, dass die EU-Institutionen mehr Macht bekommen und dass mehr Geld nach Brüssel fließt. Mehr Macht ohne mehr Demokratie, werden jetzt manche sagen, ist irgendwie nicht schön. Das stimmt aber gar nicht. Nur ohne Demokratie macht Wahn Sinn. Die beste Art, Demokratie auszuhebeln, ohne den Ausnahmezustand ausrufen zu müssen, ist noch immer die Bürokratie samt deren Institutionen. Und wer möchte der EU absprechen, dass sie über eine mächtige Bürokratie verfügt?

Es gibt Dinge, die zur Sorge Anlass geben, sie alle haben etwas mit Deutungshoheit und Macht zu tun: Der Anteil der Europäerinnen und Europäer an der Weltbevölkerung wird kleiner, die im Bruttosozialprodukt gemessene wirtschaftliche Macht Europas sinkt, die Bedeutung des Euro ebenfalls. Alles ganz schlecht.

Die schrumpfenden Bevölkerungszahlen lassen nur eine Handlungsoption zu: Grenzen noch dichter, als sie jetzt schon sind. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht. Nur ungestört lassen sich Kinder zeugen. Wenn man sozusagen kuschlig unter sich, die Bude also leer ist. Für jeden Geflüchteten, den wir im Mittelmeer ersaufen lassen, könnten so betrachtet zwei neue Europäer in die Welt gevögelt werden.

Juncker hat das allerdings im Frühjahr mit seiner richtungsweisenden Rede in Strasbourg zur Lage der Europäischen Union ganz anders vorgelogen: »Europa ist - anders als viele behaupten - keine Festung und es darf niemals eine werden. Europa ist und bleibt der Kontinent der Solidarität, auf dem diejenigen Schutz finden, die vor Verfolgung geflohen sind.«

Die Autorin zitiert aus einem Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gegenüber einem jungen Afghanen (wir erinnern uns, das Amt, dessen Kurzname wie der Knall einer Gewehrkugel klingt: BAMF!!): »Er und seine Freundin hätten auch die Konsequenzen kennen müssen, wenn man in einem streng islamischen Land unehelichen Geschlechtsverkehr hat, insbesondere wenn der Vater des Mädchens ›mächtig‹ ist. Das hätte sie davor abschrecken müssen. Sie wären dann auch Sicher gegangen, dass sie keiner erwischen kann. Der Vortag ist somit in seinem Kern unglaubhaft.« (Die Schreibfehler hat nicht die Autorin zu verantworten, sondern das Peng-BAMF!)

Wie kommt man jetzt geschmeidig zurück zu Juncker? Ach ja: »Europa ist und bleibt der Kontinent der Solidarität.« Aber nicht mit Leuten, die zur Unzeit mit dem falschen Mädel rummachen.

Noch mal Ronja Rönne zum Schluss: »Meine Mutter sagt, was man liebt, muss man ziehen lassen. Also habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen.«