nd-aktuell.de / 14.12.2017 / Kultur / Seite 14

Wenn die Querflöte fiept

»Die Zweisamkeit der Einzelgänger« ist der vierte Teil der Romanreihe »Alle Toten fliegen hoch« von Joachim Meyerhoff

Christian Baron

Es ist erstaunlich: Weit und breit lässt sich kaum jemand auftreiben, der die Bücher von Joachim Meyerhoff schlecht findet. Selbst diejenigen, die das Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters als Hochstapler entlarven wollen, argumentieren sich in eine Sackgasse. Meyerhoff, sagen manche, könne unmöglich alles so erlebt haben, wie es da geschrieben stehe. Sie übersehen aber ein wesentliches Detail, worauf hinzuweisen in Zeiten der allumfassenden Authentizität nötig geworden ist. Ja, die Hauptfigur in der Reihe »Alle Toten fliegen hoch« trägt den selben Namen wie der Autor. Und ja, auch deren biografische Eckdaten stimmen mit den Lebensstationen des Schauspielers überein. Auf den Büchern steht aber deutlich lesbar »Roman« - ein Umstand, der alle Fragen um Wahrheitsgehalt und Fiktionsanteil überflüssig macht.

Reden wir also von der künstlerischen Qualität. Da wiederum fällt es schwer genug, sich dem Phänomen Meyerhoff unvoreingenommen zu nähern, so mächtig schlägt einem in den Feuilletons die Begeisterung entgegen. In seinem sechsteiligen Solo-Zyklus »Alle Toten fliegen hoch« trat Meyerhoff auf der Bühne des Burgtheaters als Erzähler seines aufgehübschten Daseins in Erscheinung und wurde zum Berliner Theatertreffen 2009 eingeladen. Der Erfolg war so durchschlagend, dass er beschloss, die Geschichten in vier Romane zu packen, die seit 2011 erschienen sind.

Inmitten des Booms der Memoir-Literatur ist das eine Entscheidung, die dem unbedarft sein wollenden Leser mögliche Einwände schon vor der Lektüre in den Kopf treibt: Warum schließt jetzt schon wieder ein Schauspieler aus seinem mimetischen Talent, er beherrsche auch andere Kunstformen? Folgte da etwa ein prominenter Bühnenmensch, der zuvor noch nie eine literarische Zeile veröffentlicht hat, dem betörenden Lockruf des kommerziellen Gewinns?

Die Bühnenspektakel schienen auf den Live-Auftritt hin geschrieben, so als funktionierten sie nur im Rausch der gemeinsam erlebten Performance und keinesfalls im schummrigen Licht der einsamen Lesestube. Jetzt liegen alle vier Bände vor, und bislang sind 1,4 Millionen Exemplare verkauft. Der schriftstellernde Schauspieler weiß damit zumindest die Wahrheit des Marktes auf seiner Seite. Reicht das?

Jedenfalls taugt sein spätmoderner Taugenichts wirklich als Identifikationsfigur. In »Amerika« (2011) nutzt Meyerhoff die ersten 90 Seiten, um seinen fiktiven Wiedergänger als tollpatschigen Provinzjungen vorzustellen: »Ich wollte endlich lernen, so zu gucken, als hätte ich ein Geheimnis, und nicht, als wäre mir die Welt eines.« Bis über den tragischen Tod des Bruders hinaus hält Meyerhoff diesen Ton auch in den nächsten Büchern durch. »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war« (2013) thematisiert das Aufwachsen des Jungen im Landeskrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig. Der echte Meyerhoff war ebenso wie der fiktive nie dessen Insasse.

Nein, sein Vater war dort Chefarzt, und die Einsitzenden wurden Meyerhoff zu Spielkameraden. Bis auch hier das Elend einbrach: Der Vater erkrankte schwer und starb. Im dritten Teil mit dem Titel »Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke« (2015) stattete der Leidende den schmerzlich Vermissten »Gedankenbesuche« ab und begann seine Tage mit dem Gurgeln von Enzianschnaps. Als er 1987 eine Statistenrolle in einer Inszenierung des »Faust« an den Münchner Kammerspielen übernahm, hatte er seine Berufung gefunden.

Der jetzt erschienene Abschlussband »Die Zweisamkeit der Einzelgänger« weckt also die Hoffnung, eine gepimpte Version des Werdens eines Theaterstars aufgetischt zu bekommen. Natürlich enttäuscht Meyerhoff diese Erwartung. Stattdessen gewährt er Einblicke in den Alltag eines Schauspielanfängers in Bielefeld und Dortmund.

Bei den Proben zu »Anatevka« etwa muss er als Einziger eine Sprechrolle übernehmen, weil er beim Vorsingen scheitert. Es ist eine der lachanfallförderndsten Szenen, die ihre Komik aus Meyerhoffs erbarmungsloser Selbstironie bezieht: »Als wäre meine Gesangskunst ein Klebstoff, der auf und in die Instrumente tropfte, verstummte eines nach dem anderen. Da hörte ich noch das schrille Fiepen einer geschockten Querflöte, dort noch den letzten quietschenden Atemzug einer verendenden Geige.«

Aber auch mit dem Sprechen hat er so seine Probleme: Während eines Deklamiernachmittags für das geneigte Abo-Publikum dichtet Meyerhoff in Paul Celans »Todesfuge« die »schwarze Milch der Frühe« zur »schwarzen Milch der Kühe« um. Sein Einpersonenstück über eine Ratte floppt, ansonsten bleiben ihm vorerst nur Nebenrollen.

Ganz anders läuft es mit den Frauen. Bei einer Premierenparty in Bielefeld lernt er eine wahnsinnig komplizierte Studentin namens Hanna kennen. Sie beschreibt er so zärtlich, dass es verwundert, wie schnell ihn in Dortmund die unbekümmerte Franka verzaubert. Fortan steht Meyerhoffs aberwitziger Versuch im Mittelpunkt, mit beiden Frauen glücklich zu werden, ohne dass die zwei Angebeteten voneinander wissen. Und dann taucht auch noch die üppige Dortmunder Bäckersfrau Ilse auf, die ihn zwischen den Partys mit Franka und den intellektuellen Gefechten mit Hanna ab vier Uhr morgens mit leckerem Schwarzbrot, warmen Schweineohren und bitter nötigem Trost versorgt.

Ganz am Ende, wenn der übergeordnete Titel der Reihe sich erklärt hat, da bleibt einem nichts anderes übrig, als jede Skepsis aufzugeben und ihm noch mehr Leser zu wünschen, diesem begnadeten Sprachkünstler Joachim Meyerhoff, der zufällig auch ein herausragender Schauspieler ist.

Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkeit der Einzelgänger. Alle Toten fliegen hoch, Teil 4. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 416 S., geb., 24 €.