Die Angst ist größer als die Spinne

Die Ursachen der Arachnophobie sind noch nicht vollständig geklärt.

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Diese widerlichen Spinnen! Jedes Hineinlaufen in eines der Netze, besonders im Spätsommer, jedes unvermutete Erscheinen der geradezu fetten schwarzen Hauswinkelspinne erzeugt extremen Ekel. Nur geringe Abhilfe bringt es, beim Waldspaziergang immer jemanden vor sich herlaufen zu lassen. Blaubeeren sammeln kommt nicht infrage. Befallene Zimmer müssen durch mitleidige Familienmitglieder gesäubert werden. So erlebte es Anne S., und wie ihr geht es nicht wenigen Menschen. Sie leiden an einer Arachnophobie, einer der häufigeren spezifischen Ängste. Über deren Ursachen gibt es verschiedene Auffassungen. Vor 100 000 Jahren waren Spinnen größer - und häufig waren diese Gliederfüßer giftig. Wer vor ihnen auf der Hut war, hatte also einen Überlebensvorteil. Aber warum ist die Angst der Betroffenen gerade vor Spinnen am größten und nicht genauso groß vor anderen potenziell giftigen Tieren wie Schlangen oder Insekten? Zu den unwillkürlichen körperlichen Reaktionen wie Herzrasen oder Schweißausbruch kommen für einige Psychotherapeuten frühkindliche Erfahrungen, in den ersten Lebensjahren erfasste Ängste der Eltern oder ein inkonsequenter Erziehungsstil.

Gegen den Einfluss des Elternhauses spricht ein Experiment, über das Forscher im Fachblatt »Frontiers in Psychology« im Herbst berichteten. Danach reagierten schon sechs Monate alte Babys auf Bilder von Spinnen - und Schlangen - gestresst, während sie Abbildungen von Fischen und Blumen nicht erregten. Der Mechanismus, diese Tiere zu identifizieren, scheint also genetisch vorgegeben und wohl auch der dadurch ausgelöste Stress. Nur bei fünf Prozent der Bevölkerung führt das nach Schätzungen zu einer starken Phobie. Angst oder Ekel empfinden aber mehr Menschen - etwa 30 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer.

Nicht alle Spinnenphobiker brauchen eine Behandlung, in schweren Fällen wird eine Verhaltenstherapie aber von den Krankenkassen erstattet. Eine Therapievariante sieht als Einstieg Entspannungsübungen vor, dann erfolgt die schrittweise, möglicherweise selbst gesteuerte Konfrontation. Dabei sollen Kuscheltiere in Spinnenform helfen oder auch 3-D-Aufnahmen, die mit entsprechenden Brillen betrachtet werden. Die Betroffenen lernen, dass die Angst vor dem Tier nicht so groß ist. Und mehr noch: dass diese Angst sogar verschwindet, wenn man nicht sofort die Flucht ergreift. Zentrale Annahme der zugrunde liegenden Therapie ist die Einordnung der Phobie als erlernte Reaktion. Vermeidung oder gar Flucht festigen die Angst weiter, das Gegenteil soll in der Therapie gelernt werden.

Eine Variante der Konfrontation hat auch Anne S. probiert: »Ich habe gelernt, die Spinne in einem abgedeckten Glas aus dem Haus zu bugsieren.« Oder sie ertrug es, wenn im Sommer auf der Wiese eine Spinne über ihre nackten Füße krabbelte. Parallel dazu begann sie, sich über die achtbeinigen Tiere zu informieren - Verwandlung von Ekel in Faszination sozusagen. Dabei halfen unter anderem Bücher wie »Leben am seidenen Faden«, 1975 erstmals erschienen und nur noch antiquarisch erhältlich. Darin geht es auch um die raffinierten Falldeckelspinnen oder um Netzbau unter Drogeneinfluss. Einer der Autoren, der Zoologe Ernst Kullmann, hat 1957 sogar über den Spinnennetzbau promoviert. Großes Kino gibt es, wenn man im Internet mit dem Stichwort »peacock spider« (oder Pfauenspinnen) nach Videos sucht. Die männlichen Tiere der in Australien vorkommenden Art sind gerade einen halben Zentimeter groß und zeigen einen einzigartigen Paarungstanz. Dabei richten sie ihren knallbunten Hinterleib senkrecht auf und winken rhythmisch mit dem dritten Beinpaar. Diese wunderbaren Spinnen!

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