Weg, nur weg!

Andrea Hejlskov: Ein Stück gelebter Anarchie

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer hätte nicht schon mal gern alles hingeschmissen und wäre ausgeschert? Auf eine Südsee-Insel. Nach Grönland. Oder einfach in den nächsten Wald. Die Dänin Andrea Hejlskov hat es getan, mit ihrer Familie, das heißt mit Mann und vier Kindern. Und hat darüber ein Buch verfasst. Nichts Besonderes? Alles zurücklassen, den ganzen Haushalt auflösen, den Beruf aufgeben, keinen Cent Rücklage besitzen, die Kinder von der Schule nehmen, in den fernen nordschwedischen Wäldern ein Zelt aufbauen, aus eigener Kraft Bäume fällen, daraus eine Hütte errichten, den bitter kalten Winter kommen sehen und durchleben - haben wir daran bei unseren Ausstiegs-Plänen gedacht?

So ganz war es den Hejlskovs anfangs wohl auch nicht klar, auf was sie sich da einlassen würden. Zumindest hatten sie wohl erst einmal die Rechnung ohne den Winter gemacht. Aber zunächst überwog die Euphorie, der Stolz, es »geschafft« zu haben. »Wir machten keinen Urlaub, wir waren auf der Flucht, wir waren Auswanderer, wir segelten auf der Freiheitsfähre weg von Armut, Krieg und Unterwerfung ... Wir hatten keine Papiere, kein Geld, keine Ausweise. Wir hatten keinerlei Wertsachen mehr.« Natürlich kam das nicht von ungefähr. Klar, die Armut, klar, die unbezahlbar gewordene Miete, die Verärgerung über die Politik, das ganze von Produktivität und Effektivität bestimmte System. Aber da war noch mehr, da war ein unerträglicher Überdruss an allem: »Es gibt zu viel Kontrolle überall. Zu viele Videokameras, zu viel Überwachung, zu viele Sanktionen. Es muss doch Freistätten geben auf der Welt, ... es muss doch Orte geben, wo man sich all dem nicht fügen muss.«

Unter Belastungen wie den oben genannten können Konflikte freilich nicht ausbleiben: Die Kinder - was Wunder? - wollen teilweise anders als die Eltern, die eine schwere Ehekrise durchlaufen und meistern müssen. Bleiben sie im Wald? Oder nicht?

Und ich habe es mir - verdrehter Anachronismus! - im Sessel bequem gemacht und lasse mich faszinieren von einem streitbaren, aber auch nachdenkenswerten, teils sogar weisen Buch über Machtverhältnisse und Abhängigkeiten. Von einem Buch über eine Flucht in die Waldeinsamkeit. Welch ein gemütlicher Genuss - in einem warmen Zimmer, bei einem guten Essen - und einem aktivierten Smartphone ...

Andrea Hejlskov: Wir hier draußen. Eine Familie zieht in den Wald. Aus dem Dänischen von Roberta Schneider. Mairisch Verlag, 292 S., geb., 20 €.

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