Die Crux der Verkündigung

»Christliche Motive in der DDR-Malerei« auf Burg Beeskow

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.
Auf der IX. DDR-Kunstausstellung stand ich vor Fritz Cremers »Der Herabsteigende« und spürte, hier passierte etwas bislang Unerhörtes. Dass Fritz Cremer 1982 in Dresden Jesus vom Kreuz steigen ließ, war ein Schlusspunkt, Aufkündigung einer Mission. Hatte Jesus seinen Auftrag etwa eigenmächtig uminterpretiert: nicht mehr ausharren, sondern weggehen? Oder wollte er gar nicht weg, sondern hin zu etwas, von dem wir noch gar nichts ahnten? Vielleicht war es ja auch bloß das saloppe: Komm mal runter zu uns, da sieht manches gleich ganz anders aus? Fragen eines Siebzehnjährigen, der spürt, die Verunsicherung des Altkommunisten und Atheisten Cremer ist nicht kleiner als seine eigene. Da ist Kunst nichts, das sich bildungsbürgerlich konsumieren oder ideologisch instrumentalisieren ließe, sondern sie wird auf elementare Weise für das eigene Leben notwendig: ein Überlebens-Mittel, das die Abwehrkräfte gegen eine aufdringlich-nivellierende Außenwelt stärkt. Der bessere Teil der DDR-Kunst, eben jener Ausdrucksnot des isolierten Ich entsprungen, provozierte Fragen ganz grundsätzlicher Art. Jene existenzielle Bedeutung, die Kunst und Literatur für viele Heranwachsende im Osten besaßen, ist heute, in einer Zeit, wo ihr genau das nicht mehr gelingt, kein öffentliches Thema. Spiegelt sich also in der DDR-Kunst, da wo sie zum wesentlichen Ausdruck der Zeit wurde, tatsächlich nur der zum Untergang verurteilte Staatssozialismus? Also alles bloß historisch? Oder offenbarten sich gerade hier Alternativen, die wir erst heute bemerken? Der Ort, wo man DDR-Kunst wie neu entdecken kann, ist die Burg Beeskow. Hier lagern über 20 000 Kunstwerke, zusammengetragen aus abgewickelten öffentlichen Institutionen. Ein in seiner Widersinnigkeit hinreißendes Symbol: das, was vom DDR-Machtapparat - sehr gegen dessen Willen - blieb, ist eine Schatzkammer voller Kunst, für die sich aber niemand sonderlich interessiert. Ohne den letzten Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, wäre sie wohl auf der Müllkippe gelandet. Fritz Cremer ist auch hierbei wieder eine Ausnahme. Ein Kruzifix von ihm, mit dem Titel »Das endlose Kreuz - Irrgarten des Glaubens« (1980-1982), wäre zweifellos ein Höhepunkt der Ausstellung gewesen, doch es ist eines der wenigen Werke des Beeskower Bestandes, die sich gerade außer Haus befinden: eine Leihgabe ans Friedenskirchgemeindezentrum von Eisenhüttenstadt. Diese Ausstellung über christliche Motive in der DDR-Kunst will den sträflich verengten Blick zurück weiten - auf eine ebenso intelligente wie authentische Weise. Der Kurator der Ausstellung, Friedrich Stachat, über die hier gezeigten Arbeiten: »Es ist wichtig, eine Generation wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, die durch zwei Diktaturen, zwei Weltkriege und deren Nachkriegszeiten geprägt, ihre eindrucksvolle Sprache entwickelte; Künstlerinnen und Künstler von großer Gestaltungskraft und doch geringem Marktwert. Sie drohen in Vergessenheit zu geraten, weil auch viele der nachfolgenden Generation, die sie kannten und von ihnen geprägt wurden, schon aus der Welt gegangen sind.« Im Ausstellungsthema verbirgt sich die sehr gegenwärtige Frage nach dem Verhältnis von Säkularem und Sakralem in der Gegenwartskunst. Gibt es eine christliche Kunst überhaupt, oder fängt die Kunst erst an, wo das Bekenntnis aufhört? Sprechen wir nicht von Glauben, sprechen wir von Erwartung. Davon sind all die hier ausgestellten Grafiken und Gemälde übervoll. Da kommt noch was, ob es gut wird oder nicht, das liegt offen - aber liegt es auch in unserer Hand? So wird in diesen Bildern etwas spürbar, was über das in ihnen Gezeigte hinausgeht: eine neue Wirklichkeit. Aber vor dem Paradies liegt die Apokalypse, das große Gericht - und Auferstehung sagt schon, dass da zuallererst etwas zu Boden sinken muss. Das ist auch das Thema in Winfried Wolks »Apokalypse«, das ehemals der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft gehörte, ein Ölbild, auf dem jeder den Blick angestrengt gen Himmel richtet, das Rot übergeht in ein drohendes Violett. Sollte man darin nicht eine Parabel auf den gläubigen Dirigismus erkennen, der den Apparatschik-Himmel auf seine Art besetzt hält? Hans Jüchser malt 1952 in kräftigen Rot-Grün-Kontrasten ein urchristliches Motiv: »Heimkehr des verlorenen Sohnes«. Der Vater, eine biblische Figur, sitzt in seinem biedermeierlich-bequemen Lehnstuhl und der Sohn, abgehärmt in grün-grauer Leichenfarbe und bekleidet nur mit einem kurzen Anstaltskittel, lehnt seinen kahlen Schädel erschöpft an ihn. Er kommt mir vor wie ein überlebender KZ-Insasse, der noch nicht weiß, ob es für ihn jemals eine »Heimkehr« geben wird. Da stoßen - nicht offen, aber doch unterschwellig - bereits in der frühen DDR die Generationen aufeinander; der Riss, den die Barbarei noch in den elementarsten Formen des Humanen hinterlassen hat, wird sichtbar. Und über allem die verzweifelte Frage nach dem Sinn, den das Leben künftig noch haben kann. Die Akzente verschieben sich in den Jahrzehnten. Vor allem: es wird ironischer, man benutzt nun das Historische auch als Maske. Die 1978 entstandene Lithografie Werner Tübkes »Verkündigung« trägt den im höheren Sinne ironischen Besitzvermerk: »ehemals SED«. Ja, da wurde auf taube Ohren gepredigt, gingen Pharisäer und Fanatiker der reinen Lehre aufeinander los, um dann doch gänzlich unbeachtet dem unbeirrten Fortgang einer Geschichte überlassen zu werden, die zuallererst die vom Sockel stürzte, die für sich den höheren Sinn von Geschichte reklamiert hatten. Beeindruckend: Joachim Lautenschlägers »Ecce homo« (1982). Das war die Zeit von Kriegsangst wegen NATO-Doppelbeschluss und SS-20 Raketen in der DDR, aber auch von Friedrich Schorlemmers Mut zum Sinnbild »Schwerter zu Pflugscharen«, einem Aufnäher, deren meist jugendliche Träger SED und FDJ als Staatsfeinde diffamierten: ein Akt der moralischen Deligitimierung. Lautenschlägers Lithografie besitzt immer noch Erregungspotenzial, wenn auch heute wiederum anders. Wir sehen eine durchlöcherte Schießscheibe in der dunklen Kontur eines Menschen. Ein Grabstein des ewig-gleichen Militarismus. Dahinter stapeln sich Totenschädel - zugleich Friedhofsmauer und unerschöpflicher Vorrat neuer Munition. Über allem liegt wie eine Grabplatte der stockschwarze Himmel. Fast jedes Bild hätte hier seine eigene Geschichte zu erzählen, die seiner Entstehung und die seiner zufälligen Rettung. Fast möchte man von einer Freibeuterkunstschau sprechen: dem zufälligen Glück einer rettenden Inbesitznahme durch Eigenmächtigkeit. Das gibt dieser Ausstellung ein Gewicht, deretwegen man sie unbedingt sehen sollte. Für Entdeckungen ist es nie zu spät, das wird zum prägenden Grunderlebnis dieser besonderen Ausstellung. So erschüttern Herbert Seidel und Erwin Hahs mit ihren kraftvollen Holzschnitten (der bevorzugten Gestaltungstechnik religiöser Stoffe) bislang für unerschütterbar Gehaltenes, senken den Stachel der unbeantwortbaren Fragen ins Fleisch der falschen Gewissheiten. Seidels Bilder hingen beim Parteivorstand der Ost-CDU - kein Ort, an dem man als Maler bekannt werden konnte. Im Holzschnitt »Hiob« erhebt sich der Dulder gleichsam auf Seidels so lebensstarken Linien über sein Elend. Verkündigung wird Kunst, also erfahrbarer Selbstausdruck. So auch Friedrich Press in seinem »Christuskopf mit Dornen« (1981) aus gebeizter Linde. Die Dornen sind Nägel und der Kopf ein Block. Wo von Glaube...

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