Opferwütige Aristokratin

In Eisenach tanzt »Elisabeth. Ikone« in den seligen Märtyrertod

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Unter einem feuerlodernden Lüster, weit wie eine raumspannende Krone, dreht vor mannshoch emporgehaltener, bleich leidender Jesusfigur Elisabeth, bis der Taumel sie zu Boden zieht. Starr wohnt in mittelalterlichem Gewand der Hof in einem lichtlos grauen, von Eisentreppen flankierten Wartburgsaal der Prozedur bei. So heiratet in Tomasz Kajdanskis Eisenacher Heiligenparaphrase Elisabeth, nicht Österreichs spätere, anderweitig unglückliche Sissi, sondern die 1207 in Ungarn geborene, mit vier Jahren zur thüringischen Landgräfin bestimmte, mit 24 an Erschöpfung gestorbene Märtyrerin. Früh fühlte sich die Mutter dreier Kinder zu christlicher Mystik, tätiger Nächstenliebe, Wohlstandsentsagung berufen, geriet in der Raserei nach franziskanisch seliger Armut unter den auch körperlichen Einfluss ihres Beichtvaters Konrad von Marburg, ehe die mehrfache Hospitalgründerin in Marburg den Strapazen ihrer Lebensvision erlag. In 16 Szenen von 70 Minuten Spieldauer zerlegen Kajdanski und sein Dramaturg Bernd Weißig ihr Gleichnis auf die bereits 1235 zur katholischen Ikone kanonisierte, opferbereite Aristokratin »Elisabeth. Ikone«. Derweil sich die Höflinge mit Blindekuhspiel delektieren, finden Elisabeth und ihr Gatte zu Glück und ehelicher Liebe. Bald indes geht Ludwig IV. auf Kreuzzug, von dem er nicht zurückkehren wird. Aus dem Ritterschlag der Begleiter entwendet Elisabeth die Schwerter und sticht sie in einem Tisch voller Heimaterde stumpf. Ludwigs Mutter missfällt das Aufbegehren der Schwiegertochter, das vor dem Hunger ihrer Untertanen nicht halt macht. Zwischen Reihen leerer Teller wirbt sie in einem ersten furiosen Solo für die Notleidenden. Marschklang ruft Herrscher und Soldaten ins Feld. Da nähert sich der schutzlos anfälligen Elisabeth der Prediger Konrad, schlägt sie unter den Blicken der Inquisition würgend und peitschend in seinen Bann, entreißt ihr das Silberkreuz. Sieghafter Glaube trägt Elisabeth, Erdschwaden hüllen sie ein, verschmieren den Leib der büßenden Dulderin, dass es selbst Konrad fröstelt. Elisabeth tröstet, erhebt mit der Kraft der Schwachen, wird von Konrad, dem ihr zwischen Verehren und Begehren zugewandten, vergewaltigt. Das Feuer des Kronleuchters ist längst erloschen, wie auch Elisabeths Lebenslicht abbrennt. Über die Isolierte ergießt sich ein Regen aus Rosenblättern (Ausstattung Dorin Gal), der ihre Wunder meint und auch den Geist des gefallenen Gatten herbeibeschwört. Elisabeth geißelt sich mit weißen Lilien, bevor sie sich auf den Erd-Tisch zwischen Blumen und Schwerter bettet. Konrad, real 1233 ermordet, bleibt ein verzückter Tanztaumel, aus dem ihn der Tod erlöst. Seine erkaltete Schutzbefohlene unter der Dornenkrone fährt aus der Versenkung im weißen Endloshemd gen Himmel und hängt dort mit ausgebreiteten Armen wie der segnende Herr höchstselbst. Gestalten mit schwarzen Kapuzen und Fackeln schreiten im Trauermarsch unter der unnahbar erhöhten Heiligen über die wüste Szene aus Erdkrume und Rosenblättern. Konkrete Strukturen für den Tanz gibt Cord Meijering, Kaj-danskis langjähriger Komponist, in seiner sinfonischen Partitur aus dräuenden Streichern, auftrumpfenden Pauken, einfallenden Glöckchen weniger vor, als er atmosphärische Stimmungen malt. Besonders in den lyrischen Passagen gelingen ihm überzeugende Momente. Der Choreograf nutzt die Freiheit von der Musik zu einer eigenwertigen, düsteren, selten nur leerläufigen Fantasie um Drangsal, Selbstberufung, Scheitern, Legendenbildung. Sie lebt ganz aus der Hingabeintensität und dem Tanzfuror von Ramona Seeck in der Titelrolle und Joe Monaghan als Konrad. - Für die 13-köpfige Compagnie eine weitere Station ihrer Erfolgsstory. Weiter am 13.4., 27.5. und 7.6.
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