Das Distanzgefühl ist zurückgekehrt

Boxen: Ex-Champion Henry Maske bezwingt Weltmeister Virgil Hill und hört danach wieder auf

Vor 12 500 Fans in der Olympiahalle München und 16 Millionen Fernsehzuschauern bezwang Boxer Henry Maske (43) den aktuellen CruisergewichtsWeltmeister Virgil Hill (43, USA) in München in zwölf Runden. Eine Überraschung, weil sich zuvor reichlich kopfschüttelnde Experten gefunden hatten, die Maske nach mehr als zehn Jahren Box-Pause eine K.o.Niederlage prophezeit hatten. Ein Happy End, weil der ehrgeizge Perfektionist nun die Scharte seiner einzigen Niederlage als Profi gegen Hill 1996 ausgewetzt hat. Ein laut aufgebauschtes Rührstück, um einen Boxkampf, der sportlich bedeutungslos war. Seinen klügsten Gedanken verriet Henry Maske erst spät in der Nacht, als all die RTL-Boxpromoter nicht mehr ihre Mikros auf ihn gerichtet hatten: »Das war eine letztmalige Sache.« Seine Box-Karriere sei mit diesem Tag wieder beendet. Er habe ein Versprechen gegeben und das wolle er halten, sagte der ehemalige IBF-Weltmeister im Pressesaal der Münchener Olympiahalle - den Blick so ernst wie immer ins Nichts gerichtet. Henry Maske siegt und hört auf. Sein Distanzgefühl stimmt also noch so halbwegs: Im Ring gegen den wenig überzeugenden Cruisergewichts-Weltmeister aus Clinton/Missouri genauso wie außerhalb. Das war die wichtigste Erkenntnis des Kampfabends von München, der beileibe kein »Wunder von München« war, wie es der Fernsehreporter in Fußball-Handball-Analogie unter die Leute bringen wollte. Es war kein »Ereignis der Sportgeschichte«, es war einfach ein persönlicher Erfolg, die erhoffte späte Genugtuung, für die dieser Abend noch einmal inszeniert wurde. Vor allem, weil alle noch einmal gut daran verdienten. »So wollte ich immer abtreten, schon vor zehn Jahren« verkündete Maske dem Publikum in der Halle. Die Fans waren auf ihre Stühle gestiegen und applaudierten - sie waren dabei, an jenem Abend, als Maske wieder gewann. Das viele Geld für die Tickets an diesem Ü40-Abend hatte sich gelohnt. Danach hatte es eine ganze Weile nicht ausgesehen. Maske, Olympiasieger von 1988, agierte gegen den Olympiazweiten von 1984, Hill, drei Runden derart hüftsteif und passiv, dass schnell auch die Erinnerungen wiederkamen, warum einst Haudrauf-Weltmeister wie Graciano Rocchigiani und Dariusz Michalszewski ständig gegen Maske gestichelt hatten: langweilig, ängstlich, Mann ohne Punch. Damals verpassten ihm seine Manager den Kampfnamen »Gentleman«. Dass ihm dieser Name nicht nur wegen seiner Höflichkeit angedichtet wurde, war in München in den letzten Runden noch einmal zu erleben. Virgil Hill blutete nach einem Kopfstoß von Maske an der Stirn, doch entgegen üblicher Usancen des Profi-Boxens gingen Maskes Schläge nun nicht gezielt in Richtung des fünf Zentimeter langen Cuts. Maske boxte weiter nach dem Plan, den Trainer Manfred Wolke ihm vorgegeben hatte: Abwarten, kontern, sauber boxen, Hill auf Distanz halten, auf Chancen warten. Und ab und an mal treffen. Diese Aufgabe hat er ordentlich erledigt, so ordentlich wie es Trainer Wolke seit 1984 von ihm gewohnt ist. In jenem Jahr lernten sich diese beiden in Frankfurt/Oder kennen und sammelten fortan legendäre Erfolge. Trainer Wolke erklärte den Sieg von München zum wichtigsten in der Zusammenarbeit mit Maske: »Henry ist Europameister, Weltmeister, Olympiasieger, aber das hier war vielleicht der schönste Sieg.« Schließlich habe man als Aktiver nur ganz selten die Chance, dass der ehemalige Kontrahent nach zehn Jahren noch aktiv ist, als Weltmeister, in der passenden Gewichtsklasse. »Das ist nun wirklich fast ein Märchen.« Und das Ende stimmt auch.
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