Zwischen Gipfel und Gegner

Rückt der Bund Mittel für ein Kunstprojekt zum G8-Treffen raus?

  • Ina Beyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Zeitgleich zum G8-Gipfel wollen Künstler ein Projekt zum Thema Globalisierung im öffentlichen Raum der Stadt Rostock realisieren. Mit öffentlicher Finanzierung sieht es jedoch schlecht aus. Ende letzter Woche wurde das Projekt in Berlin vorgestellt.
Heiligendamm - ein Begriff, der für sich steht, Vorstellungen erweckt vom bevorstehenden Spektakel, wenn beim G8-Gipfel die große Politik und international angereiste Globalisierungsgegner aufeinandertreffen. Ein recht reduziertes Verständnis von einem Großereignis solcher Reichweite, wenn man es kritisch betrachtet, und das tut Adrienne Goehler, Berliner Kultursenatorin a. D. »Nie wird über Inhalte gesprochen«, bemängelt sie, stattdessen werde medial und auch politisch immer wieder die Dualität vom Gipfel und seinen Gegnern inszeniert. Ein Phänomen, das nicht nur auf diesen Gipfel zutrifft: Kann sich noch jemand an die Topthemen 2001 in Genua erinnern? Wer dagegen hat den Tod von Carlo Giuliani vergessen? Oder die Schreckensbilder aus der Diaz-Schule, wo die italienische Polizei auf brutalste Weise schlafende Aktivisten zusammenknüppelte? Adrienne Goehler will diese Dualität in der Gipfel-Darstellung aufbrechen: Daher hat sie das Projekt »Art goes Heiligendamm« ins Leben gerufen, ein internationales Kunstprojekt, das vom 24. Mai bis 9. Juni im Rostocker Stadtraum stattfinden soll. Ohne von vornherein Partei für eine Seite zu ergreifen, wollen die beteiligten Künstler einen »Zwischenraum öffnen für die Wahrnehmung« und den Blick auf große Globalisierungsthemen richten: Heimat etwa, Migration oder die Rolle des Geldes und seine Verteilung weltweit. Die Grenzen zwischen Wahrnehmungs- und Aktionsformen der Kunst und jener der sozialen Bewegungen sollen dabei verflüssigt werden. Kunst versteht sich hier in ihrer Aufgabe, Konflikte zu reflektieren und nach Lösungsansätzen zu suchen, zu intervenieren eben. Geplant sind u.a. Installationen, Workshops, Theaterperformances und Vorträge. Bei der Bundeskulturstiftung hat Adrienne Goehler Gelder für »Art goes Heiligendamm« beantragt. Die Stiftung jedoch wies den Antrag zurück, da das Projekt wegen seiner »übergeordneten politischen Bedeutung« angesichts der Gastgeberrolle der Bundesregierung zunächst geprüft werden müsse. Dies aber könne erst »zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem das Projekt bereits begonnen haben müsste« - die Kulturjury tagt erst im Juni wieder. Der Ablehnung begegnen die Initiatoren des Projekts mit einer Gegenfrage: Ist, bevor die Finanzierung des Zwölf-Millionen-Zauns beschlossen wurde, der in Heiligendamm derzeit schon errichtet wird, dessen übergeordnete kulturelle Bedeutung geprüft worden? Dieser bringe doch das Dilemma der Veranstaltung »drastisch zum Ausdruck«, argumentieren sie: »Über Schicksalsfragen der Menschheit beraten die Verantwortlichen der Welt hinter einem hohen Zaun, der sie von jeder Begegnung mit den Menschen und ihrer Not, Hoffnung, Angst und Wut abschneidet.« Ein Zustand, der aus Sicht der Künstler nach Reflexion schreit. Goehler und ihre Mitstreiter berufen sich auf eine Vereinbarung zur »Kunst am Bau«, mit der sich der Staat verpflichtet, einen Prozentsatz der Kosten für öffentliche Bauten für Kunstwerke zu verwenden. Um ihr Projekt realisieren zu können, wollen sie beim Bund, in dessen Verantwortung das Bauvorhaben liegt, und beim Land Mecklenburg-Vorpommern, das es ausführt, zwei Prozent der veranschlagten Kosten beantragen. Insgesamt wären das 250 000 Euro oder umgerechnet »250 Meter Bauzaun«, wie Adrienne Goehler vorrechnet. Ausgeschüttet wird gewöhnlich etwa ein Prozent der Mittel, wenn, so steht es in den Richtlinien des Bundes, »Zweck und Bedeutung der Baumaßnahme dies rechtfertigen«. Folgt man der Argumentation zur künstlerischen Bedeutung des Zauns, beantwortet sich die Frage quasi von selbst. Dieser symbolisiert danach ja nicht nur das Dilemma der Veranstaltung: Im übertragenen Sinne scheint diese das Dilemma des Funktionierens unserer Welt abzubilden ... Ach, die Kunst! Ein wenig Ironie scheint durchaus angemessen angesichts des bevorstehenden Spektakels, der absurden Abschottungsmaßnahmen, die in den letzten Monaten angerollt sind, und des geplanten größten Polizeieinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Initiatoren beschäftigt zudem noch die merkwürdige Gastgeberrolle der Bundesregierung in diesem Jahr. Anders als bei der Fußball-WM 2006 hat die Bundesregierung keine Haushaltsmittel eingestellt, um das bevorstehende Spitzentreffen in Heiligendamm kulturell zu unterfüttern - obwohl sich auch dort Menschen aus aller Welt treffen. Rostock erwartet rund 100 000 Besucher, die meisten Hotels sind mittlerweile ausgebucht. Jenseits dualer Betrachtungsweisen begrüße man alle Anreisenden als Gäste, bekräftigte Martina Bade vom Kulturamt Rostock bei der Projektvorstellung in Berlin. Offenbar bietet sich das umstrittene Gipfeltreffen nicht an für ein aufsehenerregendes Begleitprogramm à la »Zu Gast bei Freunden«. Und wohl gerade deshalb will das Kunstprojekt daran anknüpfen. Durchaus nachvollziehbar, die Argumente der Initiative, aber was, wenn der Bund die Gelder nicht rausrückt? »Wir würden es hinkriegen«, sagt Adrienne Goehler, mit privaten Spendern, über die bisher 45 000 Euro zusammengekommen sind. Dann müssten aber alle ohne Geld arbeiten: Wäre das nicht schade bei einem Kunstprojekt von solch übergeordneter politischer Bedeutung?
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