Demonstrativer Machtkampf in der Ukraine

Großkundgebungen von Opposition und Regierung / Präsident droht mit Parlamentsauflösung

  • Manfred Schünemann
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Mit Demonstrationen für und gegen die drohende Auflösung des Parlaments in der Ukraine hat sich der Machtkampf zwischen dem pro-russischen und dem pro-westlichen Lager zugespitzt.

Am Wochenende erinnerte im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt alles an die Tage der »Orangenen Revolution« vor zwei Jahren. Mit Bussen und Bahnen waren Zehntausende Anhänger beider politischer Lager aus allen Regionen des Landes nach Kiew gebracht worden, um auf dem »Maidan Nezaleshnosti« (Platz der Unabhängigkeit) ihren jeweiligen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Der seit Monaten andauernde Machtkampf zwischen Regierung und Opposition hat damit eine neue Stufe erreicht. Ziel der Opposition ist es, durch eine weitere Destabilisierung der Situation den Druck auf Präsident Juschtschenko zu erhöhen, das vor einem Jahr gewählte Parlament aufzulösen. Von den angestrebten Neuwahlen erhofft man sich, die politischen Machtverhältnisse wieder zu Gunsten der heutigen Opposition zu verändern. Das Oppositionslager um Julia Timoschenko hat sich bis heute nicht mit der politischen Niederlage bei der Formierung einer Parlamentsmehrheit aus der Partei der Regionen, Sozialisten und Kommunisten und der Wahl von Viktor Janukowitsch zum Premierminister im Sommer vorigen Jahres abgefunden. Zunächst setzte man auf die Instabilität der Regierungskoalition. Als sich das aber immer deutlicher als Illusion erwies, strebte man eine Revision der Verfassungsreform an, mit der Anfang 2006 die Machtbefugnisse des Präsidenten eingeschränkt und die Rolle des Parlaments wesentlich gestärkt worden waren. Das Verfassungsgericht folgte aber trotz personeller Veränderungen diesem Ansinnen nicht, sondern orientiert vielmehr auf gesetzliche Regelungen für die Kompetenzverteilung zwischen Präsident, Parlament und Regierung auf der Grundlage der geänderten Verfassung. Seit Anfang des Jahres konzentrieren sich die Bestrebungen der Opposition nunmehr auf Parlamentsauflösung und Neuwahlen. Allerdings ist dieses Vorgehen auch innerhalb der Opposition nicht unumstritten. Besonders in der Juschtschenko-Partei »Unsere Ukraine« gab und gibt es starke Vorbehalte gegen das Oppositionsbündnis mit dem Block Julia Timoschenko. Vor allem der Unternehmerflügel um den früheren Premierminister Anatoli Kinach tendierte schon immer zu einer »Großen Koalition« mit der Regionalpartei und hat nunmehr mit dem Eintritt in die Regierung Janukowitsch diesen Schritt auch faktisch vollzogen. Die einsetzende »Fluchtbewegung« von Abgeordneten der Oppositionsparteien in das Regierungslager (allein in der letzten Woche verließen zehn Abgeordnete die Fraktionen von BJT und »Unsere Ukraine») machen diese Auflösungserscheinungen des Oppositionslagers mehr als deutlich. Zugleich dienen sie aber auch dazu, der Öffentlichkeit die Ungesetzlichkeit der Arbeitsweise von Regierung und Parlament zu suggerieren und der Forderung nach Parlamentsauflösung Nachdruck zu verleihen. Trotzdem zögert Präsident Juschtschenko bislang, den Forderungen der radikalen Oppositionspolitiker um Julia Timoschenko nachzugeben. Hintergrund dafür sind neben verfassungsrechtlichen Bedenken vor allem die Prognosen der Meinungsforscher, die im Falle vorgezogener Parlamentswahlen einen Wahlsieg der jetzigen Regierungsparteien und das parlamentarische Aus der Juschtschenko-Partei »Unsere Ukraine« vorhersagen. Bestärkt wird Präsident Juschtschenko in seiner zögerlichen Haltung auch durch das geschickte, pragmatische Vorgehen der Regierungskoalition. Ministerpräsident Janukowitsch war in den Auseinandersetzungen um die Innen- und Außenpolitik des Landes stets um Kompromisse mit dem Präsidenten bemüht und demonstrierte nach Innen und Außen eine auf die stabile Parlamentsmehrheit gestützte sachbezogene, konstruktive Arbeit seines Kabinetts. Der Ausgang der jetzigen Machtprobe bleibt ungewiss. Viel wird davon abhängen, ob die EU bei der von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Berlin-Besuch von Viktor Janukowitsch (Ende Februar) geäußerten Einschätzung bleibt, »dass mit den letzten freien und fairen Wahlen in der Ukraine die politischen Verhältnisse neu bestimmt sind« und die EU alles unterstützt, »was die Ukraine auf ihrem Reformkurs fortführt«. Einseitige Parteinahmen, wie sie in den Tagen der »Orangenen Revolution« erfolgten, dienen dieser Zielstellung ebenso wenig, wie die ständig wiederholten »Einladungen« zu eine...

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