»Es war damals eine kollektive Euphorie«

Vor 25 Jahren führten Argentinien und England Krieg um die Malwinen (Falklandinseln) / Argentinischer Veteran Esteban: Kaum Stimmen gegen den Krieg

  • Lesedauer: 5 Min.
Der damals 19-jährige Edgardo Esteban gehörte zu den rund 20 000 argentinischen Soldaten, die im Falklandkrieg zum Einsatz kamen. Als er mit einem Kameraden den Wachdienst tauschte, wurde dieser bei der Wache getötet. Um das Erlebte zu bewältigen, schrieb Esteban ein Buch über den Krieg, dass er 1993 unter dem Titel »Iluminados por el fuego« (Vom Feuer erleuchtet) veröffentlichte. 1999 besuchte er als erster der argentinischen Kriegsveteranen die Malwinen. Mit ihm sprach für ND Jürgen Vogt.
ND: Was bedeutet für Sie der 25. Jahrestag der Landung der argentinischen Truppen?
Esteban: Ein Moment der Reflexion. Über die reden, die auf den Inseln gestorben sind, über die, die ihre Söhne verloren haben und noch immer die Angst und den Schmerz fühlen. Und über die, die nach dem Krieg die Gleichgültigkeit, die Ausgrenzung, die Einsamkeit, das Vergessen und die Diskriminierung der argentinischen Gesellschaft nicht ertrugen. Das führte dazu, dass es 25 Jahre danach mehr tote ehemalige Soldaten durch Selbstmord als durch die direkten Kampfhandlungen gibt.

Wie reagierte die Bevölkerung auf die Besetzung der Falklandinseln (Malwinen)?
Die Besetzung, das war ein einziges Fest. Als hätten wir die Fußballweltmeisterschaft gewonnen. Die Leute gingen vor den Präsidentenpalast und jubelten Diktator Galtieri zu. Alle schwenkten argentinische Fahnen, alle spendeten Sachen, es war eine unglaubliche patriotische Hingabe. Es war, als käme der Märchenprinz und sagt: »Alles ist gut, wir kehren auf die Inseln zurück.« Dieser Patriotismus erfasste selbst Menschenrechtsorganisationen, die Galtieri mit einem Spruchband »Die Malwinen sind argentinisch - die Verschwundenen auch« zujubelten.

Gab es keine Gegenstimmen?
Es gab sehr wenige Stimmen dagegen. Heute will davon niemand mehr etwas wissen oder die Verantwortung übernehmen. Es war damals eine kollektive Euphorie.

Wie reagierte die Bevölkerung auf die Niederlage?
Am Tag, als sie die Niederlage bekannt gaben, glaubten alle, es sei eine Lüge. Aber als sie es begriffen, entlud sich die Wut und der Hass auf die Militärdiktatur. Zuerst wollten sie das Regierungsgebäude in Brand stecken, doch dann wollte niemand mehr darüber reden. Alle hatten den Krieg vergessen. Es herrschte ein für uns schreckliches allgemeines Schweigen. Ich hatte immer gesagt, wenn ich nach Hause komme, warten dort eine Menge Briefe auf mich, sie werden mich einen Helden nennen, es wird Konfetti regnen und ganz Argentinien wird auf mich warten. Aber als ich zurückkam, bellte nur ein Hund, und meine Mutter wartete auf mich.

Warum hat die Bevölkerung nicht zwischen der verantwortlichen Militärführung und den heimkehrenden jungen Wehrpflichtigen unterschieden?
In dieser Gesellschaft gibt es Vorurteile gegen Juden, Schwarze, Peruaner, Bolivianer, und dann soll es keine gegen ehemalige Malwinen-Kämpfer geben? Die Leute sehen in dir einen Geist, ein Monster. Es ist ein großes soziales Problem, das es nicht nur in Argentinien gibt. Ich war in London, dort passiert genau dasselbe. Ich war in Frankreich, dort passierte dasselbe mit den Veteranen des Algerienkrieges, und es passiert in New York mit denen, die jetzt aus Irak zurückkommen, und denen die zuvor aus Vietnam kamen.

1999 sind Sie zum ersten Mal wieder auf die Malwinen gefahren...
Ich ging als Journalist zurück auf die Inseln, dennoch war ich zugleich der erste ehemalige Kämpfer der zurückkam. Das löste eine große Debatte aus. Ich war voller Ängste bei der Rückkehr, alle Wunden brachen wieder auf und mich packte eine riesige Furcht. Aber danach war es heilsam, es macht mich irgendwie stark. Ich habe auch mit den Inselbewohnern gesprochen. Wir haben unsere Unterschiede gesehen. Sie sind sehr rücksichtsvoll mit meiner Sichtweise umgegangen.

Was bedeuten die Malwinen für die Argentinier?
Sie sind ein Teil unserer Identität - wie Maradona, wie Evita Peron, wie der Tango oder wie Che Guevara. Du siehst die Schilder überall im Land: Die Malwinen sind argentinisch. Du lernst es in der Schule von der ersten Klasse an, es steht auf jeder Landkarte. Es ist keine physische Sache, es ist ein Symbol der Forderung nach Souveränität. Ich war fünf Mal auf den Inseln, erst vor wenigen Tagen wieder, und fühle, dass sie Teil unserer Identität sind. Das wurde 1982 von der Militärjunta ausgenutzt, und der Krieg hat das noch verstärkt, denn er hat viele Wunden hinterlassen.

Argentinien hat den britischen Vorschlag einer gemeinsamen Gedenkfeier zurückgewiesen.
Eine Teilnahme wäre verrückt, weil die Engländer feiern werden. Sie behaupten, so sei es nicht, aber es ist eine Feier. Thatcher wird anwesend sein. Das ist, als würden wir mit Galtieri an der Spitze eine Parade machen. Mir hätte eine ökumenische Messe gefallen, danach eine gemeinsame Ehrung der Toten, aber keine Parade.


Bilanz des Krieges
Zu den am weitesten südlich gelegenen bewohnten Gebieten der Erde gehören die Falkland-Inseln im südwestlichen Atlantik. Mit der Unabhängigkeit von Spanien erheben die Vereinigten Provinzen vom Río de la Plata (heutiges Argentinien) ihren Anspruch auf die völkerrechtlich umstrittene Hoheit über den Archipel. 1833 besetzt Großbritannien die Inseln. Seitdem beharren beide Länder auf ihrem Anspruch. Der negative Höhepunkt: Der Krieg vor 25 Jahren, der insgesamt zweieinhalb Monate dauerte. Er kostete 712 Argentiniern und 256 Briten das Leben. Insgesamt wurden auf britischer Seite 28 000 Mann eingesetzt, auf argentinischer waren es rund 20 000. Die Kriegskosten bezifferte London zwischen 1,5 und 2,5 Milliarden Pfund, die argentinischen Ausgaben werden auf 5 Milliarden US-Dollar geschätzt.
1986 wird General Galtieri, 1982 Chef der argentinischen Militärjunta, wegen Kriegsfehler, nicht wegen des Krieges selbst, zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, später von Präsident Menem begnadigt. 1990 nehmen Großbritannien und Argentinien die offiziellen diplomatischen Beziehungen wieder auf.
1994 wird in der neuen argentinischen Verfassung »die rechtmäßige und unveräußerliche« Souveränität über die Inseln festgeschrieben, deren Wiedererlangung »ein permanentes und unwiderrufbares Ziel des argentinischen Volkes« ist. ND
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