nd-aktuell.de / 11.01.2018 / Kultur / Seite 14

Nachtnotizen

Peter Arlt

Martin Hatzius

Deutlich seltener als literarische Tagebücher, die ganze Regalmeter in den Bibliotheken füllen, sind Nächtebücher. Der emeritierte Gothaer Kunstprofessor Peter Arlt hat ein solches veröffentlicht. Entstanden ist es im Laufe von fünf Jahrzehnten, während derer Arlt nicht etwa Erlebtes und Gedachtes aus seinem zweifellos ereignisreichen Alltag als Kunsthistoriker, Kurator und Buchautor niederschrieb, sondern - seine erinnerten Träume.

Noch außergewöhnlicher als die Idee, einen »Lebensroman in Träumen« zusammenzutragen, ist Arlts tabuloses Vorgehen selbst bei der Wiedergabe explizit sexueller Träume oder unbewusst imaginierter Handlungen, die im Wachzustand, wenn nicht strafbar, so doch gesellschaftlich geächtet wären. »Das schmerzhafte peinliche Nacktmachen der eigenen Seele«, schreibt der Autor im Vorwort, »muss freilich als unabdingbarer Preis der Annäherung an die Wahrheit betrachtet werden.«

Eine erste Fassung seiner meist nur wenige Zeilen langen Traumnotate hatte Arlt bereits 1994 an Freunde und Kollegen geschickt, deren Reaktionen im aktuellen Buch abgedruckt sind. »Ich finde es bemerkenswert«, schrieb etwa Christa Wolf, »wie in den Inhalt der Träume die politische Wende Eingang gefunden hat.« Häufig kreisen Arlts Träume aus jener Zeit, wenn auch sublim, um »Verbleiben bzw. Ausscheiden« wissenschaftlicher Kader, um die »Gefahr des Absturzes«, auch um die Abwertung von Kunst aus der DDR.

Zwei Drittel der 379 Traumnotate stammen aus der Zeit nach 1994. In älteren wie neueren begegnen wir neben Menschen aus Arlts Umfeld auch Künstlern und Politikern (von Honecker über Kohl bis zu Obama). Wichtiger als der Bezug zu den »Tagesresten« ist dem Autor aber die Hoffnung, dass in den Träumen etwas »Sinnbildhaftes« und ins Allgemeine »Übertragbares« erkennbar werde. Schließlich sieht er in der »Traumarbeit« ein »vielfältiges Arsenal künstlerischer Techniken und Mittel« gleichsam ästhetisch walten.

Einmal träumt Arlt im Setting einer kunsttheoretischen Veranstaltung einen Satz, der ihm im Wachzustand womöglich nie eingefallen wäre: »Mythos«, lautet der, »ist ein Blutsee, in dem sich Alltagserfahrungen waschen.«

Peter Arlt: Traumläufe im Irrgarten. Ein Lebensroman in Träumen. Edition digital, 184 S., br., 9,90 €.