nd-aktuell.de / 15.01.2018 / Berlin / Seite 11

S-Bahn-Zukunft muss entschieden werden

Harald Wolf: Land soll neue Züge selbst beschaffen, um Preisdiktat der Deutschen Bahn zu verhindern

Nicolas Šustr

Die Beschäftigten in den Werkstätten der S-Bahn wurden durch Berichte verunsichert, dass der Senat neue Fahrzeuge und deren Instandhaltung separat vom Betrieb ausgeschrieben habe. In der Folge wären die Arbeitsplätze der Beschäftigten in Gefahr. Was ist da dran?

Da ist noch gar nichts passiert. Diese Markterkundung zur Fahrzeugbeschaffung über einen Fahrzeugdienstleister ist noch gar nicht raus, weil sowohl wir als auch die SPD-Fraktion Vorbehalte angemeldet haben. Die Verabredung ist, dass das jetzt zwischen Senat und Fraktionen diskutiert wird und dann die Entscheidung fällt.

Was gefällt Ihnen an dem von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) präferierten Modell nicht?

Der Aufbau eines Fahrzeugpools über einen Fahrzeugdienstleister wäre eine private Lösung. Vergaberechtlich könnten wir dann keine verbindlichen Tarifstandards für die Werkstattbeschäftigten vorgeben. Durch eine Trennung von Betrieb und Instandhaltung der Fahrzeuge, hätten wir zudem eine zusätzliche Schnittstelle. Das Schienennetz bei der DB Netz, Fahrzeugwartung beim Fahrzeugdienstleister und den Betrieb der S-Bahn. Das bedeutet einen immensen Koordinierungsbedarf und würde das System extrem störanfällig machen.

Wollen Sie also eine Komplettausschreibung für Fahrzeuge und Betrieb aus einer Hand wie beim Ring, bei der am Ende nur die Deutsche Bahn übriggeblieben ist?

Nein, dieses Verfahren brachte die Deutsche Bahn in eine faktische Monopolstellung. Sie könnte Berlin erneut die Preise diktieren und würde das auch tun. Das ist eine Aktiengesellschaft, die will Geld verdienen.

Welche Lösung schwebt Ihnen vor?

Berlin sollte einen eigenen, kommunalen Fahrzeugpool aufbauen. Es gibt den Einwand, dass man in Konflikt mit der Schuldenbremse kommt, wenn man die Fahrzeuge bezahlen muss. Ich glaube, dass es dafür Lösungen gibt. Die Zahlungsflüsse verteilen sich über einen längeren Zeitraum. Und was spricht dagegen, aus den gegenwärtigen Haushaltsüberschüssen Geld anzusparen? Über die ganze 30-jährige Lebensdauer der Züge würde das billiger kommen.

Dann gibt es doch trotzdem eine zusätzliche Schnittstelle, die den alltäglichen Betrieb verkompliziert.

Wenn wir uns entscheiden, einen kommunalen Fuhrpark aufzubauen, müsste man mit der S-Bahn Berlin GmbH in Verhandlungen über eine gemeinsame Nutzung der Werkstätten eintreten. Wir haben auch in die Koalitionsverhandlungen den Passus hineinformuliert, zu prüfen, ob eine Beteiligung an der S-Bahn Berlin GmbH möglich ist.

Nicht nur der Fahrgastverband IGEB fürchtet, dass der politische Streit über das Konzept wie bei der Ausschreibung der Ringbahn ausgeht. Mit einer jahrelangen Hängepartie, in der nichts entschieden wird.

Wir sind uns alle im Klaren, dass wir uns das nicht leisten können. Ich habe keine Lust auf ein Déjà-vu. Ich habe 2010, 2011 stundenlang mit allen Beteiligten zusammengesessen. Dann waren wir so weit, die Wagen zu bestellen. Am Ende hat der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) blockiert. Das darf sich nicht wiederholen. Eine Entscheidung muss jetzt getroffen werden, das ist innerhalb der Koalition so verabredet.

Wann müssen denn die Fahrzeuge für das Stadtbahn- und Nord-Süd-Netz der S-Bahn zur Verfügung stehen?

Wir sprechen von dem Zeitraum ab 2025. Wir müssen aber gewisse Grundsatzentscheidungen schon jetzt treffen, denn die Beschaffung von neuen Zügen hat einen Vorlauf von etwa sieben Jahren.

Immer wieder ist auch im Gespräch, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) den Betrieb übernehmen könnten. Die scheinen aber schon mit ihren jetzigen Aufgaben am Rand der Überforderung zu sein.

Wenn wir eine sogenannte In-House-Übernahme, also die Übernahme durch das Land, verfolgen würden, hätten wir bis 2025 Zeit ein geeignetes Unternehmen aufzubauen. In diesem Fall würde ein Betriebsübergang von der S-Bahn Berlin GmbH stattfinden. Das Personal würde zu gleichen tariflichen Bedingungen übernommen, man müsste es also auch nicht erst neu aufbauen. Dennoch wäre es ein sehr ambitioniertes Projekt. In der Koalitionsvereinbarung findet sich daher auch der Auftrag, die Möglichkeiten einer Beteiligung Berlins an der S-Bahn-GmbH zu prüfen, um den öffentlichen Einfluss zu erhöhen.

Fehlende Züge sind das eine Problem bei der S-Bahn. Aber auch die Infrastruktur, zum Beispiel Gleise und Signale, reicht nicht. Dafür ist wiederum DB Netz zuständig. Welche Einflussmöglichkeiten hat das Land dort?

DB Netz ist nicht besonders investitionsfreudig. Einen direkten Hebel haben wir da leider nicht. Eine Verbesserung werden wir nur im Rahmen einer Gesamtdiskussion über die Aufgaben der Deutschen Bahn hinkriegen. Jetzt geht es erst mal darum, die nötigen Fahrzeuge für einen stabilen Betrieb zu bekommen.