nd-aktuell.de / 22.01.2018 / Politik / Seite 7

Schaulaufen vor dem Finale

Putin unterwegs auf Wahlkampftour zwischen Sankt Petersburg, einem orthodoxen Eisloch und der Provinz

Klaus Joachim Herrmann

Das war mehr als nur eine kalte Dusche für Russlands Präsidenten. Wladimir Putin tauchte am Freitag anlässlich des orthodoxen Epiphanias-Festes zur Taufe Christi in ein Eisloch am Seligersee im Gebiet Twer. Es hätten ja nur sechs bis sieben Grad Frost geherrscht, beschwichtigte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Zudem pflege sein Chef schon seit vielen Jahren das Eisbaden. Diesmal waren neben den Priestern aber auch einige Kameraleute dabei.

Für das Wahlvolk und mehr als ein gutes Dutzend Kandidaten geht es am 18. März um die Präsidentschaft. Hier allerdings kommt in diesem Jahr das Schaulaufen vor dem Finale - nicht wie bei den Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften in Moskau umgekehrt. In der politischen Paradedisziplin steht für Beteiligte und Beobachter der Sieger längst fest: Amtsinhaber Wladimir Wladimirowitsch. Der grüßt von in den panslawischen Nationalfarben Weiß, Blau, Rot gehaltenen Wahlplakaten mit seinem Konterfei und einem Abbild des Kreml: «Starker Präsident, starkes Russland». Das dürfte auch umgekehrt gelten, ist aber nicht die erste Botschaft der Wählerwerbung. Die ist auf den Hausherrn des Kreml zugeschnitten. Das gilt sogar für die Landesfarben: Weiß steht Flaggenkundlern für Glauben und Edelmut, Blau für Hoffnung und Ehrlichkeit, die Farbe Rot für Liebe, Mut und Tapferkeit.

«Einen wie Putin» wünscht sich in ihrem Hit über den Staatschef bis heute das «Gemeinsam singende Mädchentrio» (Pojuschtschije wmeste) - einen, der stark sei, nicht trinke und nicht weglaufe. Das Webportal Russia Beyond linkt zu einem Kinderchor in Uniform: «Sewastopol ist unser und die Krim», «Alaska holen wir zurück» und «Onkel Wowa, wir sind mit dir».

Das gilt auch für die orthodoxe Kirche. Als sich Putin vor dem Eintauchen in das eisige Wasser noch flüchtig bekreuzigte, wusste er die erstarkte russisch-orthodoxe Kirche längst hinter sich. Ihr Oberhaupt, Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland, rief «euch alle auf, auch die orthodoxen Gläubigen, an der kommenden Präsidentschaftswahl teilzunehmen». Unmissverständlich galt sein Lob dem Präsidenten, als er in einem TV-Interview die Verteidigung der dortigen christlichen Minderheit durch den von Putin angeordneten Militäreinsatz in Syrien würdigte. Mit dem Hinweis, eine Wahlteilnahme sei «sehr wichtig», widersprach der Patriarch auch dem von der Wahl ausgeschlossenen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny: Der ruft zu deren Boykott auf.

Wladimir Putin, der sich als Kandidat selbst aufstellte und damit keiner Partei versicherte und verpflichtete, ficht das nicht an. Er ist der große Favorit, stützt sich auf Dutzende Parteien und Organisationen, hatte schon bis Mitte Dezember statt der geforderten 300 000 mehr als eine Million Unterschriften zu seiner Unterstützung sammeln lassen. Einer zweiten sechsjährigen Amtszeit bis 2024 steht nichts und niemand erkennbar im Wege.

Das aber dürfte es dann gewesen sein. Eine dritte Amtszeit hintereinander schließt Russlands Verfassung aus, eine Änderung schloss Putin bereits früher wiederholt fast empört aus. 2012 war Putin für sechs Jahre gewählt worden, amtierte vorher von 2000 bis 2008 als Präsident zweimal jeweils vier Jahre. In der Zwischenzeit tauschte er mit Dmitri Medwedjew das Amt und fungierte als Premierminister.

Russlands Bürger zeigen sich in Umfragen zufrieden mit ihm und dem Land, geben dem Kremlchef größte Zustimmung und bekunden ebenso ihren Stolz auf Russland. Der Nachfolger Boris Jelzins steht nach dessen wilder Kapitalisierung, der Zeit der Wirren der Perestroika Michail Gorbatschows und dem Untergang der Sowjetunion für die Stabilisierung Russlands, seine wirtschaftliche Erholung und dessen Rückkehr in den Klub der Weltmächte. Der syrische Krieg ist gewonnen, die Krim russisch, der Ölpreis scheint wieder zu steigen. Russland trotzt den Sanktionen des Westens mit Wachstum, dem NATO-Vormarsch mit Rüstung und schmiedet eigene Bündnisse. Das mit China ist wohl das wichtigste.

In der Gesellschaft mehren sich Zeichen, alte Feindschaften überwinden zu wollen. Die Teilung in «Rote und Weiße» soll Vergangenheit sein, die heroischen Seiten der Geschichte gelten wieder etwas, wenn auch Stalins Rückkehr nicht nur bei manchen seiner Opfer und deren Nachkommen für mehr als nur Unbehagen sorgt. Mit der Gesellschaft «Memorial» sind die Aufarbeiter der blutigen Diktatur als «ausländische Agenten» gebrandmarkt.

Doch Wladimir Putin möchte Präsident aller Russen sein. Mit einem Strauß roter Blumen ehrte er auf dem verschneiten St. Petersburger Piskarjowskoje-Gedenkfriedhof mit dem Monument «Mutter Heimat» am Donnerstag die Opfer der vor 75 Jahren gebrochenen Blockade. Auf dem Weg von der Ewigen Flamme zum Denkmal verharrte er am Grab seines Bruders Viktor, der während der massenmörderischen Belagerung durch die faschistischen deutschen Truppen starb. Am 2. Februar kommt Putin nach Wolgograd, wo vor 75 Jahren die Sowjetarmee in der Stalingrader Schlacht die Wende des Zweiten Weltkrieges einleitete.

Der Präsident zeigt sich volksnah. Am 10. Januar teilt er Waggonbauern in Twer die Erhöhung des Mindestlohnes mit, im Dezember verkündet er Arbeitern der GAS-Autowerken in Nishni Nowgorod seine Kandidatur. In Kolomna widmete er sich am Mittwoch demonstrativ der Provinz beim «Forum kleiner Städte». Das Ziel der Tour Wladimir Putins durch die Regionen besteht in der Demonstration der Sorge um das Leben der einfachen Russen«, folgert der Politologe Abbas Galjamow in der »Obschaja Gaseta«. »Um das zu unterstreichen, wird der Staatschef aktuelle Probleme dieser oder jener Stadt lösen.«

In Kasan scheint Putin den Studenten freilich erst eines bereitet zu haben. So wurde nach Angaben eines »Kommando Nawalny/Kasan« in sozialen Netzwerken verbreitet, an der Technischen Universität sei bei Teilnahme an der Veranstaltung mit dem Präsidenten am 25. Januar eine bessere, widrigenfalls ein niedrigere Examensnote in Aussicht gestellt worden. Zur präsidialen Tour gehört vielleicht auch noch das fernöstliche Gebiet Chabarowsk - dort ist man sich aber noch nicht ganz sicher, hofft jedoch auf die Anziehungskraft der russischen Sambo-Meisterschaft auf den Sportsfreund aus Moskau.