nd-aktuell.de / 24.01.2018 / Kultur / Seite 12

Neues von Thierse und Hitler

»Titanic«-Lesung

Thomas Blum

Es ist eine schon lange Zeit währende Tradition: Im Jahres- oder Halbjahresturnus, in der Regel ein paar Wochen vor großen Feiertagen (Ostern, Weihnachten, Tag des Jüngsten Gerichts) - denn da sitzen die Portemonnaies der zahlungswilligen Kundschaft eher locker - , gibt die Redaktion der westdeutschen Zeitschrift »Titanic« ein neues Buch heraus. Für gewöhnlich handelt es sich dabei um einen liebevoll zusammengestellten Sammelband, der zu Unrecht vergessene Geschmacklosigkeiten aus alten Heften und fragwürdige Witze enthält, die nie gedruckt, sondern nur auf der Webseite des Satiremagazins erschienen sind. Das ist eine gute, löbliche Tradition: Die unterbezahlten Redakteure scheffeln mittels des Verkaufs eines solchen »Prachtbandes« (»Titanic«) ein wenig zusätzliches Taschengeld, mit dem sie sich Bier und andere bewusstseinserweiternde Drogen kaufen können, und die Leser geben ihr sauer erspartes Geld endlich einmal für etwas anderes aus als Bier und andere bewusstseinserweiternde Drogen. So ist allen geholfen.

Das neu erschienene »Titanic«-Buch hat viele Vorzüge: Es ist angenehm dick (fast 400 Seiten), enthält also sehr viele Buchstaben, hat einen goldglänzenden Einband, der Sie und andere leicht zu beeindruckende Menschen zum Kauf des »Prachtbandes« (»Titanic«) verführen soll, und kostet genauso viel wie ein Kasten alkoholfreies Bier bei Rewe. Das Beste aber ist: Es enthält auch zahlreiche bunte Bilder, z.B. eines von Prinz Charles (»60 Jahre ohne Job: Englands faulster Arbeitsloser«) oder eines von einem Leopard-Panzer (»Das ist immer noch das Lieblingsauto der Deutschen«). Zugegeben, manche der in dem »Prachtband« (»Titanic«) vorkommenden Personen sind erfreulicherweise mittlerweile bereits völlig in Vergessenheit geraten (Pofalla, Thierse, Bütikofer), an andere hingegen erinnert man sich noch sehr gut (Kretschmann, Fleischhauer, Hitler). Das Buch hat auch einen aussagekräftigen Titel: »Die erste und endgültige Chronik des 21. Jahrhunderts«. Heute lesen in einer kleinen Kneipe in Berlin die Herausgeber daraus vor, vermutlich stundenlang (gähn). Dass Jusos an dem Abend freien Eintritt haben, sei gelogen gewesen, wie die »Titanic« vorgestern klarstellte.

Lesung: »Die endgültige Chroniklesung des 21. Jahrhunderts«, 24.1., Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, im »Ernst«, Kreuzberg. Es lesen die »Titanic«-Redakteure Torsten Gaitzsch, Moritz Hürtgen und Tim Wolff. Gäste sind die »CulturMag«-Redakteurin Tina Manske und der Zeichner Elias Hauck (Hauck & Bauer).