nd-aktuell.de / 27.01.2018 / Wissen / Seite 29

Flattertierparty

Florian Brand

Hilflos krabbelt die Fledermaus über die kalten Steinstufen im Innenhof des nd-Gebäudes in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs. Offensichtlich verwirrt sucht das nur wenige Zentimeter große Tier nach Orientierung. Im Schatten der großen Steinsäulen neben der Glasfassade findet es ein wenig Schutz, bevor es behutsam von einem Mitarbeiter des Hauses aufgehoben wird.

»Dieses Verhalten ist äußerst ungewöhnlich«, erklärt Carsten Kallasch. Der Biologe ist spezialisiert auf Fledermäuse. In seinem »Fledermausbüro« in Steglitz bietet er verletzten oder verwirrten Tieren Zuflucht. Im Sommer kommen an manchen Tagen mehrere verletzte oder verwirrte Fledermäuse zu ihm.

»Eigentlich schlafen Fledertiere tagsüber«, erklärt Kallasch. Nicht dass sie beim Anblick von Tageslicht zu Staub zerfallen würden, aber »Licht bedeutet Gefahr, deswegen jagen die Tiere fast ausschließlich im Schutz der Dunkelheit. Also in der Dämmerung und nachts.« Und jetzt im Winter halten die Tiere Winterschlaf. Sonst würden sie die kalten Monate nicht überleben, weil es im Winter kaum Futter gibt. Um zu überwintern senken sie ihre Körpertemperatur um einige Grad. Dadurch reduzieren sie ihren Energieverbrauch und können so mit dem im Sommer angefressenen Fett problemlos die Wintermonate überdauern. Hin und wieder kommt es aber dennoch vor, dass eine Fledermaus zu früh aus dem Winterschlaf aufwacht. Das kann dann für die zierlichen Tiere lebensgefährlich werden. »Beim Aufwachen fährt die Fledermaus ihre Körpertemperatur wieder hoch. Das verbraucht Energie in Form von Fett. Wenn das zu oft passiert, kann es dazu führen, dass der angefressene Fettvorrat nicht reicht. Dann sterben die Tiere.«

In den Sommermonaten kommt es regelmäßig vor, dass der Experte gerufen wird, weil sich Fledermäuse in Berliner Wohnungen verirrt haben. Einmal waren es über hundert Tiere in einer einzigen Wohnung. »Da kannste nix machen«, sagt Kallasch. »Wenn die Tiere merken, dass dieser Ort kein geeignetes Quartier zum Überwintern ist, dann verschwinden sie wieder von alleine.« Die große Anzahl erklärt der Biologe wie folgt: »Das ist wie auf einer Party. Je größer die Party ist, umso höher ist auch die Anziehungskraft auf andere. Jeder will dabei sein. Bei den Fledermäusen ist das ähnlich.« Wenn sich eine Fledermaus in einer lauen Sommernacht durch ein offenes Fenster oder eine Balkontür verirrt hat, erkundet sie erst mal die Umgebung. Wenn andere Fledermäuse am Fenster vorbeifliegen und hören, dass da ein Artgenosse in der Wohnung ist, wollen sie natürlich dabei sein, erklärt der Biologe. »Die Tiere sind darauf angewiesen, einen Lebensraum im Team zu erschließen, denn mit ihrer Ultraschall-Ortung können sie nur einen sehr begrenzten Bereich vor sich erkunden.«

Angst vor den Nachtaktiven braucht aber niemand zu haben. Da die Fledermaus keine natürlichen Fressfeinde hat, ist ihr der Mensch ziemlich egal. Bei Kontakt mit einer Fledermaus sollte man ruhig bleiben und professionelle Hilfe holen, rät der Experte.

Wenn nun eine havarierte Fledermaus bei Kallasch abgeliefert wird, bleibt sie im besten Fall nur ein paar Stunden. Es kommt aber auch vor, dass die verletzten Tiere mehrere Tage bei ihm bleiben müssen. Dann werden sie mit nährstoffreichen Mehlwürmern gefüttert. »Das ist gar nicht so leicht«, sagt Kallasch. Da Fledermäuse üblicherweise im Flug essen, erkennen sie Mehlwürmer nicht als Nahrung. Dann muss man sie erst schonend an die neue, unbewegliche Nährstoffquelle gewöhnen.

Die im Hof gefundene Fledermaus hat Kallasch übrigens einige Tage lang aufgepäppelt und anschließend wieder in die Freiheit entlassen. Mittlerweile schläft sie in ihrem Winterquartier tief und fest.