Die großen Fragen des Lebens in der Kantine

Sieben Tage, sieben Nächte

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die mit Abstand meisten Revolutionen werden am Kneipentresen gestartet. In jeder Nacht müssen es allein in Berlin mehrere Dutzend sein. Bier und diverse andere Alkoholika scheinen den Geist besonders zu beflügeln, wenn es um Umstürzlerisches geht - und gleichzeitig mit ihren Wirkungen am nächsten Morgen derart zu lähmen, dass man von geplanten Weltverbesserungen nie wieder etwas hört und sie eben täglich dutzendfach in deutschen Kissen versanden.

In der Kantine, die ein täglich variierender, dennoch relativ fester Stamm der nd-Redakteur/innen werktäglich frequentiert, gibt es kein Bier. Das heißt, es gibt wohl ein alkoholfreies Gerstensaftimitat, aber das zählt ja nicht wirklich. Die Kantine ist also viel mehr Ort der Nahrungsaufnahme denn Vergnügungsstätte, auch wenn eine Weihnachtsfeier der Redaktion dort bereits sehr vergnüglich war – wie es ebenso die Beobachtung der unterschiedlichen Mittagsrunden sein kann. Die eingeschworenen Gemeinschaften erkennt man daran, dass sie zielsicher die Gruppentische an den Panoramafenstern ansteuern. Natürlich gibt es auch die Einzelgänger, die während des Essens mehr auf ihr Smartphone denn auf ihr Essen starren. Ganz unterschiedlich ist auch das Kommunikationsverhalten: Die Mitarbeiter/innen der Opernwerkstätten, an deren Kleidung man ganz genau sieht, mit welchen Farben oder Hölzern sie gerade hantieren, schweigen meist und schaufeln das Essen konzentriert in sich rein. Die in ihren Berufen »geistig Tätigen«, deren körperliche Arbeit sich meist auf das Tippen und das Bedienen des Telefonhörers beschränkt, nutzen die Mittagspause dagegen meist für Gespräche aller Art.

Manchmal dreht es sich um die Arbeit. Meist aber nur in kurzen Sätzen - man hat ja schließlich Pause. Meist geht es um den Alltag drum herum. Ein prototypisches Tischthema kann also bei Steuertipps für die Elternzeit beginnen, sich an diversen Auslandserfahrungen entlanghangeln und tatsächlich bei Fragen zur Witwenrente enden. Ein ganzes Leben in einer Pause, täglich von Montag bis Freitag. Oder es geht um Fußball.

Revolutionäre Stimmung ist also diesem täglichen Innehalten, das einige Kolleg/innen nahezu zelebrieren, ziemlich fremd. Das kann, wie erwähnt, am fehlenden Tresengefühl samt Bier liegen - andererseits waren auch die bayerischen und fränkischen Kantinen, in denen ein Helles lange zum Mittagsangebot gehörte, nicht gerade als Horte von Aufständischen bekannt. Außerdem ist das Essen ganz in Ordnung - träte dabei eine dauerhafte Verschlechterung ein, würde dies die Stimmung gehörig aufheizen. Gerüchteweise kann man bereits heute an einzelnen nd-Texten ablesen, wie gelungen die Essensauswahl des Redakteurs oder der Redakteurin war. Am Wochenende kochen die meisten übrigens selbst. Denn ein Kantinengang am Sonntag - auf diesen revolutionären Gedanken ist selbst in dieser Redaktion noch niemand gekommen. Vielleicht, weil auch die Kolleg/innen lieber ganz unrevolutionär mit dem Wochen-nd auf der Couch liegen.

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