nd-aktuell.de / 01.02.2018 / Politik / Seite 7

Der Spalter beschwört die Einheit

US-Präsident Trump wirbt in seiner Rede zur Lage der Nation für überparteiliche Kooperation

Max Böhnel, New York

Nie habe es »einen besseren Zeitpunkt zur Verwirklichung des amerikanischen Traums gegeben als jetzt«, »ein neuer amerikanischer Moment« sei gekommen, »wir können alles träumen, alles sein und zusammen absolut alles erreichen« - Worte, die die US-amerikanische Bevölkerung von ihrem Präsidenten noch nie gehört hat. Amerika sei stark - damit eröffnete Donald Trump am Dienstagabend (Ortszeit) seine live übertragene, 80-minütige Rede an die Nation.

Die »State of the Union«-Rede vor dem Kongress ist ein in der Verfassung festgelegtes jährliches Muss. Für viele US-Amerikaner gehört sie unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit zur staatsbürgerlichen Pflicht. Vor einem Millionenpublikum zu sprechen und die Basis seiner Unterstützer zu erweitern, das war Trumps Chance - die er auch wahrnahm. Er las die Rede vom Teleprompter ab, wich nur selten davon ab und vermied dadurch Fettnäpfchen. Die Aufgabe war klar: Trump musste angesichts seines in der US-Geschichte einmaligen Umfragetiefs präsidial und kompromissbereit wirken.

Zudem sollte den republikanischen Abgeordneten und Senatoren vor den Zwischenwahlen zum Kongress im Herbst der Rücken gestärkt werden. Denn auch für sie sieht es nach dem ersten Amtsjahr von Trump nicht gut aus. »Ich rufe heute Nacht alle dazu auf, Differenzen beiseite zu legen und einen gemeinsamen Nenner zu finden, die Einheit anzustreben, die wir benötigen, um den Menschen, denen zu dienen wir gewählt wurden, etwas zu liefern«, sagte der Präsident und schlug damit schon zu Beginn jenen überparteilichen Ton an, den seine Berater im Vorfeld angekündigt hatten.

Zunächst konzentrierte sich Trump auf die vermeintlichen Errungenschaften seiner Amtszeit: mehr Arbeitsplätze, die Steuerreform, Deregulierungsmaßnahmen, den Börsenboom. Dabei übertrieb er die Pluszahlen, nahm Entwicklungen in Anspruch, die bereits vor seiner Amtszeit eingesetzt hatten, oder stellte falsche Behauptungen auf. So behauptete er beispielsweise, Autounternehmen in den USA würden »erstmals seit Jahrzehnten wieder« expandieren. Tatsächlich geht in der Branche die Beschäftigung aber zurück. Er habe die größte Steuerreform der amerikanischen Geschichte verwirklicht und eine zuvor untaugliche Handelspolitik korrigiert - alles Folgen seiner Politik, sagte er.

Als zweiten Schwerpunkt nannte Trump die Einwanderungspolitik. Er unterstellte, Einwanderer ohne Dokumente seien besonders gefährliche Kriminelle und sprach von Bandenmitgliedern. »Illegalen« Ausländern werde zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei seien Amerikaner auch »Dreamers«. So werden junge Menschen genannt, die von ihren Eltern als Kinder undokumentiert ins Land gebracht worden sind.

Trump kündigte an, das Gefangenenlager in Guantánamo auf Kuba werde nicht geschlossen, wie es von seinem Vorgänger Barack Obama verfügt, aber nicht umgesetzt worden war. Mit Blick auf Nordkorea kündigte er »maximalen Druck« an. Schließlich forderte er den Kongress auf, die atomare Bewaffnung der USA zu verstärken und die Armee weiter auszubauen. »Das Volk wird Amerika wieder groß machen«, schloss er pathetisch.

Zwischenfälle, etwa Proteste der anwesenden Demokraten, die meist s mit versteinerten Minen zuhörten, blieben während der Rede aus. Einige Demokraten waren ihr ohnehin ganz fern geblieben. Zahlreiche Abgeordnete und Senatorinnen waren dagegen aus Solidarität mit der Metoo-Bewegung in schwarzer Kleidung erschienen.

Die traditionelle Gegenrede der Opposition, die nach Trumps Auftritt im Fernsehen ausgestrahlt wurde, hielt der Abgeordnete Joseph P. Kennedy III. aus Massachusetts. Trotz dieser Rhetorik der Einheit sei die Regierung dabei, das Land weiter zu spalten, betonte er. Dabei würden zentrale Rechte ausgehöhlt und alles verraten, wofür Amerika stehe. In einer in sozialen Medien verbreiteten Botschaft meldete sich auch der demokratische Sozialist Bernie Sanders zu Wort. Dabei konzentrierte er sich auf die republikanische Agenda und Aspekte ihrer Steuerreform. Im ersten Amtsjahr der neuen Regierung seien die Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung um vier Cents pro Arbeitsstunde gestiegen, rechnete er vor. Im selben Zeitraum hätten aber die drei reichsten Menschen in den USA 68 Milliarden Dollar Extraprofite gemacht.