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»Ein Ja mit Bedingungen«

Alejandra Santillana über die Volksbefragung in Ecuador aus Sicht der sozialen Bewegungen

  • Ulrich Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Oktober hat Präsident Lenín Moreno die Initiative zu einer Volksbefragung gestartet und seit Dezember liegen sieben Fragen zur Abstimmung vor. Am Sonntag sind nun die WählerInnen Ecuadors dazu aufgerufen, über die Fragen mit Ja oder Nein abzustimmen. Um was geht es konkret?

Es geht unter anderem darum, eine zweite Wiederwahl auf politische Posten zu unterbinden, wie es eigentlich auch in der Verfassung von 2008 festgelegt wurde, damit politische Ämter nicht zu lange besetzt sind. Eine andere Frage handelt von der Verhinderung von Bergbau in bestimmten Gebieten, eine weitere will die Einschränkung der Ölförderung des international bekannten Yasuní-Gebietes im Amazonas. Es geht auch um die Bestrafung von Sexualdelikten gegen Minderjährige.

Alejandra Santillana

Alejandra Santillana ist eine ecuadorianische Soziologin, die an der Nationalen Autonomen Universität in Mexiko promoviert. Zudem ist sie aktiv in feministischen Gruppen. Über das Verfassungsreferendum, das vorab durch die Austritte des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa sowie 28 weiterer Abgeordneter zu einer Spaltung der regierenden Bewegung Alianza País (AP) führte, sprach mit ihr für »nd« Ulrich Brand.

Insgesamt sucht der im April 2017 gewählte Präsident Lenín Moreno Unterstützung für seine Politik. Er hat ja damals nur mit knapp über 50 Prozent gegen den rechten Kandidaten gewonnen. Aber es gibt noch andere Aspekte. Moreno kommt aus der Partei seines Vorgängers Rafael Correa Alianza País und Moreno will mit dem Referendum die Kontrolle über den Staat.

Welche Bedeutung hat die Volksbefragung für linke Kräfte?

Die Befragung ist ein Gradmesser für die Regierung, um die Stimmung in der Bevölkerung und den politischen Organisationen zu testen. Der Präsident konnte ja in den letzten Wochen sehr gut sehen, welche Sektoren ihn unterstützen und welche nicht. Es kommt zu einer Art Dialog, in dem Sachen verhandelt werden: Mit den Indigenen, LehrerInnen, Studierenden, Widerständen gegen den Bergbau. Doch es wäre ein Fehler, diese Befragung schon als Teil von Veränderungen zu sehen. Sie öffnet zunächst eine Möglichkeit für die demokratischen und popularen Kräfte.

Was erwartet uns am Montag? Es werden ja neben dem Präsidenten verschiedene Kräfte den Sieg für sich reklamieren, von der politischen Rechten bis zu den progressiven sozialen Bewegungen.

Wenn am Montag die Rechte einen politischen Erfolg für sich reklamiert, indem sie sich gegen den Ex-Präsidenten Rafael Correa stellt, ist das falsch. Die Kritik am Ex-Präsidenten und seiner immer autoritärer und konservativer werdenden Politik wurde ab 2011 von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften formuliert. Wichtig scheint mir: Die Zustimmung zu den Fragen im Referendum wird aus Sicht der progressiven Kräfte kein Blankoscheck sein, sondern ein »Ja« mit Bedingungen. Die Regierung muss dann liefern. Von daher wird es wichtig sein, dass es zu sozialen Mobilisierungen kommt und dass es auch ein eigenes linkes politisches Projekt gibt, das die Regierung kaum von sich aus verfolgen wird. Die mächtigen Unternehmenssektoren sitzen ja mit in der Regierung.

Was sind zentrale Elemente einer wirklich progressiven politischen Agenda?

Wir müssen die einseitige Wirtschaftsstruktur überwinden, die uns immer in der Rolle der Exporteure von Rohstoffen lässt. Das wurde ja unter Correa noch verstärkt: Freihandelsabkommen, hohe Gewinne wie nie für den Unternehmenssektor. Da ändert sich bislang nicht viel.

Eine Alternative besteht etwa im Umbau des Landwirtschaftssektors weg von der großen Agrarindustrie hin zu kleinbäuerlicher und ökologischer Landwirtschaft. Dazu gibt es einige progressive regionale Regierungen, die zeigen, dass ökonomische und gesellschaftliche Alternativen durchaus entwickelt werden können. Die Regierungspolitik muss grundlegend verändert werden. Das bedeutet auch Kampf gegen Arbeitslosigkeit und die immer weitere Informalisierung von Arbeit, Arbeit ohne vertragliche Regelungen. Die Bildungspolitik der Correa-Regierung hat eine enorme Spaltung zwischen guter Bildung für einen Teil der Bevölkerung und eine dramatische Verschlechterung für viele gebracht. Die Gewalt gegen Frauen und etwa die Kriminalisierung der Abtreibung muss bekämpft werden.

Man hat aktuell in Ecuador den Eindruck, dass es im Vergleich zur zehnjährigen Regierungszeit Correas durchaus wieder zu einer politischen Öffnung kommt.

Moreno unternimmt durchaus etwas gegen Korruption; so ist etwa sei eigener Vizepräsident, Jorge Glas, derzeit wegen seiner Verwicklung in Bauaufträge im Gefängnis. Und es gibt weniger Druck auf die sozialen Organisationen und Bewegungen, der Präsident spricht wieder mit ihnen. Es ist so als wenn man wieder atmen kann und es nicht zu jeder Initiative gleich eine Parallelinitiative des Staates gibt. Correa hat jeder Kritik die Legitimität abgesprochen. Doch man muss sehen, wie sich das real entwickelt. Es ist ja nicht unsere Regierung.

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