nd-aktuell.de / 07.02.2018 / Berlin / Seite 10

Bahn: Ausbau statt Krisenmodus

Fahrgastverband fordert von Berlin und Brandenburg mehr Tempo bei der Schiene

Nicolas Šustr

Es läuft mal wieder alles andere als rund bei der S-Bahn an diesem Dienstag. Eine Weichenstörung in Charlottenburg wirbelt den kompletten Verkehr auf den Linien S5, S7, S75 und S9 über die Stadtbahn durcheinander. Beinahe täglich sind Nutzer des einst zuverlässigen Nahverkehrsmittels mit Störungen konfrontiert.

»Es ist ein Missstand, dass es für DB Netz wirtschaftlich viel interessanter ist, Strecken auszubauen, auf denen danach mehr Züge verkehren«, sagt Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbandes IGEB. »Denn zusätzliche Gleise und Weichen, die dafür sorgen, dass Bahnen pünktlicher und schneller fahren, kosten zwar, generieren aber keine zusätzlichen Einnahmen«, so Tschepe.

Das gilt nicht nur für die Ringbahn, bei der wegen fehlender zusätzlicher Bahnsteige stark verspätete Züge nicht vernünftig ausgesetzt werden können und so regelmäßig der komplette Verkehr aus dem Takt gerät, sondern auch für die Außenstrecken. Ein Paradebeispiel sei die eingleisige S-Bahnstrecke von Wannsee nach Potsdam, sagt IGEB-Vize Jens Wieseke. »Mit einem Ausbau könnte man dem überfüllten RE1 definitiv eine Last abnehmen«, erklärt er. Die S7 würde dann mehrere Minuten weniger für die Strecke brauchen und wäre zuverlässiger. Nach vielen Diskussionen werden nun ein paar hundert Meter Strecke zwischen dem Potsdamer Hauptbahnhof und Babelsberg zweigleisig ausgebaut. Mehr hält man bei der Bahn für nicht wirtschaftlich. »Es müssten auch die Strecken nach Bernau, Oranienburg und Strausberg ausgebaut werden«, fordert Wieseke. Das Ziel müsste sein, dass prinzipiell alle fünf Minuten Züge fahren können. »Das bedeutet nicht, dass wir derzeit einen Fünf-Minuten-Takt fordern, aber nur so kann bei Störungen der Betrieb halbwegs stabil abgewickelt werden«, erklärt der Fahrgastvertreter. Das Lollapalooza-Festival in Hoppegarten habe gezeigt, dass manchmal so ein dichter Verkehr nötig sei.

Wieseke ärgert sich auch sehr über die langjährige Stagnation bei der weiteren Expansion des S-Bahn-Netzes. »Am schnellsten und einfachsten zu realisieren wäre die Verlängerung der S25 von Hennigsdorf nach Velten.« Die betroffenen Kommunen wollten die S-Bahn und Platz genug gebe es auch für die Gleise. »Ohne Wenn und Aber« werde aber auch die S-Bahn von Spandau nach Falkensee gebraucht. »Natürlich parallel zum Regionalverkehr, nicht als kompletter Ersatz«, stellt Wieseke klar. »Es ist unverständlich, dass sehr lange nicht erkannt wurde, dass beide Systeme sich ergänzen«, so der IGEB-Vize. Er glaubt auch an eine Zukunft der Siemensbahn von Jungfernheide nach Gartenfeld. »Im Nordwesten Berlins passiert so viel im Wohnungsbau - der Dornröschenschlaf der Strecke wird in spätestens 15 Jahren vorbei sein«, ist er überzeugt. Und auch die Friedhofsbahn von Wannsee nach Stahnsdorf im Südwesten sollte zumindest nicht verbaut werden.

Auch bei der großen Eisenbahn muss laut Fahrgastverband deutlich mehr passieren. »Bei der Stammbahn war es ein großer Kampf klarzumachen, die Strecke nicht anderweitig zu nutzen«, sagt Wieseke. Die Trasse verbindet auf direktem Weg den Potsdamer Platz über Zehlendorf mit Potsdam. »Schon jetzt könnte auf betriebsfähigen Gleisen die Regionalbahnlinie 33 von Wannsee über Zehlendorf bis nach Steglitz verlängert werden«, erklärt er. Das wäre für einen niedrigen Millionenbetrag machbar. Damit könnte die »Spargelbahn« nach Beelitz und Jüterbog deutlich attraktiver werden.

»Regionalbahnen dürfen nicht am Stadtrand enden, sie müssen mindestens die Ringbahn erreichen«, so die grundsätzliche Forderung von Christfried Tschepe, um die Attraktivität zu steigern. Außerdem müssten sie mindestens bis Mitternacht verkehren. Es sei ein Unding, wenn wie heute bereits um 22 Uhr Schluss sei. Dass so ein Angebot funktioniere, zeige zum Beispiel der RE1: »In Wochenendnächten sind in Fürstenwalde zum Teil über 100 Fahrgäste in den Zügen.«

Eine Ausweitung des Berliner Tarifgebiets B in das Umland, damit Autopendler bereits dort ihre Gefährte abstellen, hält man beim Fahrgastverband für den falschen Weg. »Eine Parkraumbewirtschaftung ist die richtige Lösung«, sagt Tschepe. Kostenfreie Parkmöglichkeiten dürfe es an Berliner Bahnhöfen nicht geben. »Wenn auf den Flächen Wohnungen und Büros statt Stellflächen geschaffen werden, bringt das viel mehr für den Personennahverkehr«, ist Tschepe überzeugt.