nd-aktuell.de / 07.02.2018 / Kultur / Seite 12

Gekommen, um zu bleiben

In Berlins Stadtbibliotheken können künftig auch Bücher in hebräischer Sprache ausgeliehen werden. Möglich machte das eine Initiative von Israelis, die in Berlin leben

Yossi Bartal

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, der Stadtbibliothek hebräische Bücher anzubieten?

Zuallererst weil wir Bücher lieben! Und es ist nicht immer einfach oder finanziell möglich, neue Bücher auf hebräisch zu bekommen. Auch nicht über das Internet. Als wir die große Auswahl an fremdsprachlicher Literatur wie Türkisch, Spanisch oder sogar Koreanisch in den Stadtbibliotheken entdeckt haben, fiel uns auf, dass auch wir ein ähnliches hebräisches Angebot auf die Beine stellen könnten.

Und wie wurde die Initiative gestartet?

Wir erkundeten uns auf Facebook, wer an diesem Projekt Interesse hat und waren erfreut über die positive Resonanz unter Israelis in Berlin. So startete 2015 unsere Initiative «Öffentliche Bibliothek auf Hebräisch. Wir erstellten eine Internetseite und organisierten in privaten Wohnungen Sammelpunkte für Spender, in Neukölln, Prenzlauer Berg und Charlottenburg. Seit dem werden wir ständig kontaktiert und wir erwarten noch viel mehr Bücherspende, da das Projekt mit der Zusage einer Berliner Bibliothek erst so richtig ins Rollen gekommen ist. Vor wenigen Tagen haben wir mit einem gemieteten Kleinlastwagen und mit der Hilfe mehrerer Freiwillige die Bücherkisten zu ihrem neuen Zuhause transportiert.

Wo kann man die Bücher dann ausleihen?

Zuerst werden die Bücher in der Bettina-von-Arnim-Bibliothek in Prenzlauer Berg beherbergt. Wir hoffen, die Bücher werden bald auch in anderen Filialen der Stadtbibliothek zur Verfügung stehen. Alle, die Hebräisch lesen oder lernen, könnten dann einfach die Bücher über das Leihsystem der Stadtbibliotheken ausleihen.

Wie war die Reaktion der Stadtbibliothek?

Äußerst freundlich und hilfsbereit. Es ist leider gar keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, wo das Budget von öffentlichen Einrichtungen so drastisch gekürzt wird, wie es bei den öffentlichen Bibliotheken der Fall ist. Ohne die zeitaufwendige Unterstützung der Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter hätten wir es nicht selber geschafft.

Es gibt bereits eine private hebräische Bibliothek in Berlin. Wieso braucht es dann noch hebräische Bücher in einer Stadtbibliothek?

Dieses andere Projekt ist lediglich eine private Sammlung, in einem privaten Haus, die einmal im Monat für Ausleihe offen ist. Es ist nicht immer angenehm, eine private Wohnung zu betreten, um ein Buch auszuleihen und zudem sind die Öffnungszeiten sehr begrenzt. Wir haben jedoch gehofft, mit der privaten Sammlung zu kooperieren, um die an sie gespendete Bücher in unseren Bestand zu integrieren, um sie zugänglich für mehr Menschen zu machen. Leider kam es noch nicht dazu.

Wie hoch schätzen Sie den Bedarf an hebräischen Büchern in der Stadt ein?

Laut unterschiedlicher Schätzungen gibt es ca. 20 000 Israelis in Berlin, Tendenz steigend. Dazu lernen viele Berliner Kinder Hebräisch als Fremdsprache - unter anderem in den drei jüdischen Grundschulen und zwei jüdischen Oberschulen in Berlin. Es gibt aber auch überraschenderweise eine Menge Berliner ohne direkten Bezug zu Israel oder dem Judentum, die Hebräisch lesen können.

Die israelische Community in Berlin ist bekannt für ihre linke Ausrichtung, wird dies auch im Bücherbestand sichtbar?

Zwar haben wir auch einige queere Publikationen und Werke linker Autoren im Bestand, aber sie sind in der Minderzahl. Die Mehrzahl der Bücher besteht aus Romanen, Krimis und Kinderbüchern, die wir geschenkt bekommen haben. Man kann aber auch davon ausgehen, dass Menschen nicht unbedingt ihre Lieblingswerke spenden. Wir hoffen, dass das sich jetzt ändert und auch kritische und akademische Werke dazu kommen werden.

Oft wird über die Israelis in Berlin gesagt, sie wären nur eine Community von jungen Partygängern, die aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in Israel nach Berlin kommen. Wollen Sie mit diesem Projekt diesem Vorurteil etwas entgegensetzen? Sind die Israelis endlich in der Stadt angekommen?

Es ist typisch für den Diskurs in Israel, die Auswandererinnen und Auswanderer als charakterlos abzuwerten. Sei es heute mit Bezeichnungen wie »Milchpudding-Migration« oder als »Reste von Schwächlingen«, wie es in den 1970ern hieß. Anderseits hat Berlin immer Menschen angezogen, die nach einer Weile weitergingen. Das ist auch heute so, und Israelis sind da keine Ausnahme. Was ich jedoch beobachte, ist ein starker Zuwachs der Community an Menschen, die hier auch langfristig bleiben möchten. Man sieht das auch anhand unseres Projekts - als wir anfingen war die Nachfrage für Erwachsenliteratur ausschlaggebend, manchmal wurden auch Bücher für Kleinkinder gesucht. Heute wiederum wächst ständig der Bedarf an Literatur für Jugendliche.