nd-aktuell.de / 14.02.2018 / Politik / Seite 6

Justiz löscht Akten mit möglichem Jalloh-Bezug

Im Dessauer Polizeigewahrsam sind neben Oury Jalloh weitere Menschen gestorben – Infos gibt es keine mehr

Sebastian Bähr

»Oury Jalloh – ermordet von deutschen Polizisten« stand auf einem Transparent, das Aktivisten am Wochenende im Hamburger Hausprojekt »Plan B« an der Wand angebracht hatten. Es dauerte nur wenige Stunden, bis Beamte vor Ort waren, um die – aus ihrer Sicht – Beleidigung zu entfernen. Polizei und Justizbehörden geraten dabei seit Monaten immer stärker unter Druck, den Tod des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh zu erklären.

Jüngst wurde bekannt, dass die Justiz von Sachsen-Anhalt wichtige Ermittlungsakten zu einem weiteren ungeklärten Todesfall im Gewahrsam der Polizei Dessau vernichtet hat. Dies berichtete die »Mitteldeutsche Zeitung« (»MZ«) und berief sich dabei auf das Landesinnenministerium. »Zum Todesfall des Hans-Jürgen Rose sind keine polizeilichen Erkenntnisse mehr vorhanden. Es liegen keine Unterlagen – weder in schriftlicher noch in digitaler Form – vor«, hieß es demnach von der Behörde. Der Fall Rose gehört zu drei ungeklärten Todesfällen, die sich zwischen den Jahren 1997 und 2005 bei der Polizei Dessau ereignet haben.

Hans-Jürgen Rose wurde 1997 nach einer Alkoholfahrt in Gewahrsam genommen. Er verstarb kurze Zeit nach seiner Entlassung an inneren Verletzungen. 2002 nahmen Dessauer Polizisten den Wohnungslosen Mario Bichtemann fest. Er starb an einem Schädelbasisbruch, man fand ihn tot in der Zelle. Es war dieselbe, in der auch Jalloh verstorben war.
Der Dessauer Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann ging von einem möglichen Zusammenhang der drei Fälle aus. Er beschrieb laut Recherchen der »MZ« in einem Aktenvermerk wohl konkret ein Szenario, nachdem Beamte den Häftling Jalloh angezündet haben könnten, um Ermittlungen zu früheren ungeklärten Todesfällen bei der Dessauer Polizei zu verhindern.

Die Aufklärung der alten Mordfälle könnte jedoch schwierig werden. Laut Innenministerium sind Papiere zu Disziplinarverfahren gegen zwei Polizisten im Zusammenhang mit dem Tod von Mario Bichtemann ebenfalls nicht mehr vorhanden. Ein strafrechtliches Verfahren gegen zwei weitere Polizeibeamte sei zudem eingestellt worden. In diesem ging es um den Verdacht der fahrlässigen Tötung. Die Behörde begründete die fehlenden Informationen mit der Einhaltung von Aufbewahrungsfristen und Datenschutzregelungen.

Derzeit prüft die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg die verfügbaren Jalloh-Akten. Sie entscheidet, ob der Fall neu aufgerollt oder eingestellt wird. Staatsanwälte in Dessau-Roßlau und in Halle hatten zuvor die Ermittlungsergebnisse gegensätzlich bewertet. Parallel dazu will sich auch der Rechtsausschuss des Landtages mit dem Fall beschäftigen. Neun Kartons mit Akten sind im Parlament eingetroffen und dort in einer Geheimschutzstelle einsehbar.

Ende Januar hat sich derweil eine »Internationale Unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Oury Jalloh« gegründet. Die Initiative will unter anderem prüfen, »ob die Ermittlungen durch falsche Behauptungen, Manipulation von Beweismitteln, Vertuschung bei Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin sowie der Ausübung von Druck gegen Zeugen behindert worden sind und behindert werden«.