nd-aktuell.de / 17.02.2018 / Politik / Seite 19

Wer sind die YPG-Rebellen?

Die in Nordsyrien kämpfenden kurdischen Selbstverteidigungseinheiten haben weltweit große Aufmerksamkeit erlangt

Anselm Schindler

Als der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Anfang dieses Jahres den Feldzug gegen die nordsyrisch-kurdische Enklave Afrin bekannt gab, war die Euphorie in der Türkei groß. Regierungsnahe Medien meldeten, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerung hinter dem Krieg stehen, man wolle die Region von »Terroristen säubern«, hieß es aus dem türkischen Außenministerium - gemeint waren die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, in denen längst nicht mehr nur Kurdinnen und Kurden kämpfen, sondern auch Araber, Turkmeninnen, Christen und andere Minderheiten.

Die Euphorie ist wenige Wochen nach Beginn der Offensive der Ernüchterung gewichen, die türkische Armee und die mit ihr verbündeten Dschihadisten-Verbände, Überbleibsel aus zersplitterten Al-Quaida-Ablegern und der Freien Syrischen Armee, treffen in Afrin auf unerwartet heftigen Widerstand. Bislang konnten die Söldner und türkischen Soldaten nur einige Dörfer nahe der türkischen Grenze einnehmen.

Doch wer sind die YPG, diese Rebellen, die gegen die zweitgrößte NATO-Armee kämpfen? Als 2011 im Zuge des arabischen Protestfrühlings die Aufstände gegen den syrischen Staatspräsidenten Assad losbrachen, waren die Menschen in den kurdischen Regionen des Landes unsicher, wie sie sich positionieren sollten. Aufseiten des Assad-Regimes, das Rojava, den kurdischen Norden Syriens jahrzehntelang ausbluten ließ wie eine Kolonie? Oder aufseiten der Freien Syrischen Armee, auf der Seite von Ex-Assad-Generälen und des sich herausschälenden Oppositionsbündnisses des Syrischen Nationalrates, das nicht nur seinen Sitz in der Türkei hat, sondern auch als stark vom AKP-Regime beeinflusst gilt? Die Mehrheit der Kurdinnen und Kurden entschied sich gegen beide Optionen, was den Menschen von beiden Seiten den Vorwurf des Verrats einbrachte.

Schon viele Jahre vor dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs hatte sich in Rojava Widerstand gegen Assad geregt, angestoßen und unterstützt nicht zuletzt von der PKK, die bis Ende der 1990er vom syrischen Regime geduldet wurde. In den Jahren vor der Jahrtausendwende lebte auch der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan im syrischen Exil. Hafiz Al-Assad, Vater des jetzigen Machthabers von Damaskus, ließ das zu, um den Erzfeind Türkei zu destabilisieren. So hatte die PKK, die nicht nur in der kurdischen Bevölkerung der Türkei, sondern auch unter der kurdischen Bevölkerung in Irak, Iran und auch in Syrien, ein hohes Ansehen genießt, über viele Jahre starken Einfluss in Nordsyrien. Im Untergrund bildeten sich geheime Volksräte, Friedens- und Konsenskomitees, die Streitigkeiten in den Nachbarschaften lösen sollten und autonome Frauenstrukturen. Sie leisteten die Vorarbeit für das demokratisch-konföderale System der selbstverwalteten Nachbarschaften und Rätestrukturen, das in Rojava seit 2012 aufgebaut wird.

Als sich im Frühjahr 2011 nach den ersten blutigen Gefechten im Süden Syriens abzeichnete, dass das Land wohl so schnell nicht mehr zur Ruhe kommen wird, fingen die Leute auch in Rojava an, über den Aufbau von Milizen zu diskutieren. Innerhalb von wenigen Monaten wurden bewaffnete Einheiten aufgebaut, die vor allem aus jungen Leuten aus der Arbeiterklasse bestanden. Die YPG rekrutierte sich aus den ärmeren Schichten und den Vorstädten.

Als eine von vielen Konfliktparteien im syrischen Krieg, der längst mehr internationaler Konflikt als Bürgerkrieg ist, wurde der YPG anfangs kaum Beachtung geschenkt, doch mit der Schlacht um Kobane 2014 und der Vertreibung des IS aus Nordsyrien, änderte sich das schlagartig. Gerade die Bilder von kurdischen Frauen mit Maschinengewehren und Panzerfäusten haben ein Bild geschaffen, von dem die YPG bis heute zehrt. Aus einer kleinen Miliz ist eine relevante Kraft geworden, die, zählt man die Verbündeten dazu, inzwischen an die 100 000 Männer und Frauen unter ihrem Kommando vereint.

Das sorgt in Ankara für großen Unmut: Erst Anfang dieser Woche drohte Erdogan Richtung Washington und kündigte einen »Bruch« der Beziehungen an, sollten die USA die YPG bei ihrem Kampf gegen den IS weiterhin mit schweren Waffen und Luftschlägen unterstützen.

Zwar würden Rojava und die YPG auch ohne die USA auskommen. Doch mit einem weiteren Rückzieher der Amerikaner, beispielsweise aus der östlich von Afrin gelegenen Region Manbij, könnte sich Erdogan in seinem Kriegskurs gegen Nordsyrien bestätigt fühlen. Eine weitere Eskalation würde sowohl in Syrien als auch in der Türkei zu mehr zivilen Opfern und größerer Instabilität führen.