nd-aktuell.de / 17.02.2018 / Politik / Seite 24

Theoretische Schatzsucher

Ein kritisches Netzwerk will die Kommunikationswissenschaften umkrempeln

Sebastian Bähr

Im vorigen Jahr hat sich das Netzwerk »Kritische Kommunikationswissenschaft« gegründet. Warum?
Arslan: Gesellschaftspolitische Fragen, die für mich außerhalb der Universität sehr wichtig waren, haben in meinem Studium oft keine Rolle gespielt. Als Dozentin habe ich später versucht, mich in der Lehre gemeinsam mit den Studenten kritisch zu bilden, für den Austausch mit anderen Kollegen jedoch keine Plattform gefunden. So entstand die Idee, ein eigenes Netzwerk zu gründen. Gemeinsam mit elf Gleichgesinnten haben wir dann einen Gründungsaufruf geschrieben.

Was ist Ihre Kritik an der etablierten Kommunikationswissenschaft?
Arslan: Ich wünsche mir, dass Ergebnisse in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang gebracht werden, statt sich im Klein-Klein von Datensammlungen zu verlieren. Das Bestehende sollte nicht einfach hingenommen werden. Eine grundlegende Kritik daran ist möglich, Alternativen müssen denk- und diskutierbar sein.

Van den Ecker: Wenn man zum Beispiel erforscht, wie Jugendliche Facebook nutzen, sollte man den ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmen dieser Nutzung nicht ausblenden.

Gibt es eine relevante Anzahl von kommunikationswissenschaftlichen Lehrstühlen in Deutschland, die gesellschaftskritisch arbeiten?
Arslan: Nicht im Mainstream. In Nischenbereichen gibt es zwar einige Forscher, ansonsten sind aber viele in die Soziologie, die Politikwissenschaften - oder ins Ausland abgewandert. In den 60er und 70er Jahren gab es in der BRD marxistisch inspirierte kommunikationswissenschaftliche Ansätze, diese konnten sich jedoch nie etablieren. Der Grund: Politiker und Wissenschaftler hatten die Berufungen von kritischen Theoretikern verhindert, beispielsweise über den Radikalenerlass.

Haben Sie dafür Beispiele?
Arslan: Der bekannteste Fall ist Horst Holzer. Er sollte schon oft als Professor berufen werden, dies wurde jedoch aufgrund seiner DKP-Mitgliedschaft immer wieder verhindert. Holzer ist dann als ewiger Privatdozent in München gelandet. Es gibt noch andere Beispiele, Jörg Becker musste außerhalb der Universitäten ein eigenes Institut aufbauen, Hanno Hardt ist in die USA abgewandert, Manfred Knoche nach Salzburg. Dabei erfüllten alle die Kriterien für erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit.

Ist im Ausland der Spielraum für kritische Kommunikationswissenschaft größer?
Arslan: Im Ausland gibt es meiner Wahrnehmung nach mehr kritische Kommunikationswissenschaft, diese sind dort auch stärker anerkannt. In den USA ist beispielsweise mit Janet Wasko eine kritische Medienökonomin sogar Präsidentin einer der wichtigsten Organisationen des Faches.

Seit den Pegida-Demonstrationen ist das Wort »Lügenpresse« in aller Munde. Was ist der Unterschied zwischen linker und rechter Medienkritik?
Van den Ecker: Oberflächlich betrachtet gibt es vielleicht die Parallele, dass beide Perspektiven systemkritisch vorgehen. Aber sie haben dabei völlig unterschiedliche Ziele und Menschenbilder. Die Kritik unseres Netzwerks richtet sich ganz explizit gegen Autoritarismus, Nationalismus, Rassismus und globale Ungerechtigkeit. Das System, das wir kritisieren, ist die marktradikale Ausprägung des kapitalistischen Wirtschaftens. Es geht uns darum, Hierarchien und Machtungleichgewichte, auch gerade im Bezug auf Wissen, abzubauen. Wir üben zwar auch Kritik am Journalismus, sind aber beispielsweise nicht für die Abschaffung des öffentlichen Rundfunks, wie er von der rechten Medienkritik gefordert wird. Wir wollen ihn stattdessen kritischer machen.

Welche aktuellen Phänomene könnte man mit dieser Perspektive untersuchen?
Arslan: Ein aktuelles Thema könnte der Zusammenhang zwischen der Überwachung durch Staaten und der medienvermittelten Überwachung durch Unternehmen wie Facebook und Google sein. Es sollte jedoch nicht nur darum gehen, die Probleme aufzuzeigen, die bei sozialen Medien durch die Profitmaximierung entstehen. Man kann auch Vorschläge machen, wie diese Medien unabhängig organisiert werden könnten, beispielsweise nichtkommerziell oder vergesellschaftet.

Van den Ecker: Ein empirisches Beispiel wäre eine Untersuchung, wie derzeit auf Youtube geworben wird. Das sind oft hybride Formate, wo Nutzer im Rahmen von privaten Videos Produkte vorstellen, ihre Sponsoren aber nicht unbedingt offen transparent machen.

Auf welche Ansätze könnte sich eine kritische Kommunikationswissenschaft berufen?
Van den Ecker: Es gibt beispielsweise die marxistisch inspirierte Kritik der politischen Ökonomie, die Cultural Studies, die Frankfurter Schule, postmoderne wie feministische Medientheorien. Dazu kann man mit aktivistischen Strömungen in Kontakt treten, die Medien reformieren oder alternative Mediensysteme aufbauen wollen. Als Netzwerk ist es unsere Aufgabe, die ganzen theoretischen Schätze, die es überall gibt, auszugraben und uns anzueignen. Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses.

Wie könnte mittelfristig die Marginalisierung einer kritischen Kommunikationswissenschaft überwunden werden?
Arslan: Theorien können nur überleben, wenn sie in der Wissenschaft institutionalisiert werden. Das funktioniert momentan über Professuren. Innerhalb der bestehenden Strukturen klappt das für die kritische Kommunikationswissenschaft aber offensichtlich selten. Wir Wissensarbeiter müssen immer auch reflektieren, unter welchen Bedingungen wir Wissen produzieren. Diese sind in unserem Fach nicht viel anders als in anderen Wissenschaften - prekär und hierarchisch. Wir müssen unsere inhaltliche Arbeit für eine kritische Kommunikationswissenschaft verknüpfen mit der politischen Arbeit, die Bedingungen für ihre Existenz erst mal herzustellen. Das umfasst unter anderem Zulassungsbeschränkungen und Bewertungssysteme für Studenten, aber auch die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verändern.

Anfang Dezember 2017 gab es die Gründungskonferenz vom Netzwerk »Kritische Kommunikationswissenschaft«. Wie verlief sie?
Van den Ecker: Super, als hätten alle nur darauf gewartet. Nach den Hauptvorträgen über die Fachgeschichte diskutierten wir in den Workshops so viel, dass klar wurde: Wir müssen das fortsetzen.

Herrschte auf der Tagung hinsichtlich der Kritikansätze Einigkeit?
Arslan: Für einige im Netzwerk ist es schon ganz klar, was ihre Maßstäbe für Kritik sind, für andere überhaupt noch nicht. Sie konnten sich in ihrem Studium vielleicht noch nicht so viel damit beschäftigen und wollen sich erst mal einen Überblick verschaffen. Dafür bietet unser Netzwerk einen Raum.

Wie geht es mit dem Netzwerk jetzt weiter?
Van den Ecker: Wir planen bereits die nächste Tagung. Unter dem Motto »Kritik in Theorie und Praxis« soll diese vom 29.11. bis 1.12. am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung in München stattfinden. Es wird dort zum einen um den namensgebenden Kritikbegriff gehen, aber auch um ganz konkrete Forschungsprojekte. Bis dahin arbeiten sechs verschiedene Arbeitskreise, die sich auf der ersten Tagung gebildet haben. Die Arbeitskreise umfassen die Themen »Kritische Lehre«, »Kritische politische Ökonomie der Medienkommunikation«, »Kritische Empirie«, »Kritik des Journalismus«, »Gesellschaftstheorie in der KW« und »Kritische Strategische Kommunikation«.

Wer hat sich bis jetzt an dem Netzwerk beteiligt?
Arslan: Auf unserem E-Mail-Verteiler sind 245 Mitglieder, vom Bachelorstudierenden bis zum emeritierten Professor sind alle Generationen der Kommunikationswissenschaft dabei. Durch diese Selbstorganisation können wir uns inhaltlich austauschen, gegenseitig Literatur empfehlen, Lesegruppen veranstalten oder uns bei Problemen unterstützen. Wir haben jetzt einen Raum von ähnlich Gesinnten, das gibt Mut und Hoffnung.