nd-aktuell.de / 17.02.2018 / Wissen / Seite 26

Der Mensch schränkt die Wanderung von Wildtieren ein

Wissenschaftler fordern die politisch Verantwortlichen zum Handeln auf.

Elke Bunge

Noch im vorletzten Jahrhundert konnte man gewaltige Bisonherden die Prärien Nordamerikas durchwandern sehen. Löwen in Südostafrika inspizierten je nach Jahreszeit ein weiträumiges Jagdrevier. Inzwischen sind die Lebensräume der Wildtiere stark eingeschränkt. Urbanisierung, Straßen- und Schienenbau unterbrechen die Wanderwege der Herden. Wie stark, wollte ein internationales Forscherteam unter der Führung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Goethe-Universität, beide in Frankfurt am Main ansässig, herausfinden.

Mehr als 100 Wissenschaftler aus aller Welt untersuchten die Bewegungsprofile verschiedener Tierarten. Wie die Forscher im Fachjournal »Science« (Bd. 359, S. 466) berichten, wurden für die Studie 803 Tiere von 57 verschiedenen Arten mit einem GPS-Sender ausgerüstet, um ihre Bewegungen an den in den Instituten installierten Rechnersystemen nachvollziehen zu können.

Etwa 50 bis 70 Prozent der Erdoberfläche sind gegenwärtig von menschlichem Eingreifen verändert worden. Ganze Landschaften tragen ein neues Gesicht, wurden gestaltet, Wälder gerodet und zu Nutzanbauflächen umgebaut, in Tagebauen werden Rohstoffe gewonnen, während die dazugehörige Erdoberfläche abgetragen wurde. Dies veränderte nicht nur die Biodiversität der Pflanzenwelt, sondern auch die der Fauna. Nicht nur, dass ganze Tierarten ausstarben, die Überlebenden sind in ihrem Bewegungsfreiraum deutlich eingeschränkt.

Um dies nachzuweisen, unterteilte das Forscherteam die Erdgebiete nach einem Raster des menschlichen Fußabdrucks. Dabei wurden Werte zwischen 0 - unbesiedeltes Gebiet - und 50 - stark besiedeltes urbanes Gebiet - angenommen. Im Weiteren untersuchte das Team nun das Bewegungsverhalten von Tierarten in den Regionen mit einem Fußabdruck zwischen 0 und 35 und denen über 36. Im Ergebnis sah das Team starke Einschränkungen des Wanderverhaltens. Wild lebende Tiere bewegen sich in dicht besiedeltem Gebiet etwa nur ein Drittel der Strecken, die Tiere in nahezu unbesiedelten Regionen zurücklegen. Zugleich konnte man eine Abnahme der Herdengrößen feststellen. Verantwortlich machen die Forscher dafür eine deutliche Reduzierung des Nahrungsangebots.

Andererseits stellten die Wissenschaftler fest, dass verschiedene Tierarten die Nähe menschlicher Behausungen suchen, weil sich im dortigen Umfeld eher Nahrung finden lässt. So stellten die Studienteilnehmer der Universität Maryland fest, dass sich Kojoten verstärkt in der Peripherie von Chicago aufhalten.

Allerdings haben die Tiere dort ein nur geringes Bewegungsspektrum: Städtebau, Straßen und Schienenwege engen ebenso ein wie die permanent hohe Helligkeit, die die Tiere hindert, sich frei zu bewegen. Einhergehend mit den verengten Lebensräumen stellten die Forscher eine höhere Anfälligkeit für Infektionskrankheiten fest, weil sich gesunde Tiere nicht von kranken separieren können.

Soll die wild lebende Flora und Fauna erhalten bleiben, muss sich der Mensch für die Gestaltung neuer Ökosysteme Alternativen zum Bestehenden einfallen lassen. »Dies ist eine Aufgabe für künftige Landschaftsgestalter«, so William Fagan von der Universität Maryland. Die Studie schlägt vor, durchlässige Landschaftsgebiete zu konstruieren. Dazu gehören auch Passagen über oder unter Straßen- und Schienenverbindungen. Darüber hinaus müssen die politisch Verantwortlichen Sorge tragen, dass weitläufige Lebensräume des Wildes auch erhalten bleiben. Schon die nahe Zukunft wird zeigen, wie wichtig ein Gleichgewicht zwischen menschlichem Handeln und der wilden Natur für ein weltweites Ökosystem sein wird, sind die Forscher einhellig überzeugt.