Der Traum eines Schiffsjungen

Das Reid’s Palace auf Madeira gehört zu den großen Hotellegenden der Welt.

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Der kleine William hatte in der von Kohleabbau geprägten schottischen Kleinstadt Kilmarnock keine Chance auf Besserung seines angegriffenen Gesundheitszustandes. Und so entschieden sich die Eltern 1836 schweren Herzens, dem Rat des Hausarztes zu folgen und das Kind nach Madeira zu schicken, auf die Insel des ewigen Frühlings. Mit fünf Pfund in der Tasche verdingte sich der gerade mal 14-Jährige während der Überfahrt als Schiffsjunge. Angekommen auf der Atlantikinsel fand er Arbeit in einer deutschen Bäckerei. Doch William Reid war gewieft und von beachtenswerter Bauernschläue. Mit 25 hatte er sich nicht nur gesundheitlich stabilisiert, sondern auch schon einen Namen als erfolgreicher Weinimporteur und -exporteur gemacht.

Möglicherweise hätte er damit nicht nur reich, sondern auch glücklich werden können. Aber sein Näschen für lukrative Geschäfte wies dem jungen Mann, der schon lange nicht mehr daran dachte, jemals ins ungemütliche Schottland und gar auf den Bauernhof seines Vaters zurückzukehren, bald einen anderen Weg. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Madeira immer mehr zu einer Winterdestination für wohlhabende Europäer, die dem rauen Klima entfliehen wollten. William erkannte schnell, dass sich damit gut Geld verdienen lässt, wechselte ins zukunftsträchtige Tourismusgeschäft und vermietete »Ferienhäuser«.

Als 1850 die österreichische Kaiserin Sissi fünf Monate auf Madeira kurte, begann ein regelrechter Boom auf der Insel, der für William Reid zur Goldgräberzeit wurde - durch mehrere Hotels, die er in wenigen Jahren baute. Heute würde man von Mittelklassehäusern sprechen. So gut das Geschäft auch lief, ein Traum ließ den einstigen lungenkranken Schiffsjungen nicht los: Er wollte ein Luxushotel bauen, eine erste Adresse für die Reichen, Schönen und Einflussreichen der Welt. Dass er für den Bau ausgerechnet einen riesigen nackten Felsen wählte, mag manchem Zeitgenossen merkwürdig erschienen sein, doch William Reid hatte schon immer eine Vorliebe für das Besondere. Tonnen von Muttererde wurden herangekarrt und auf dem Felsen verteilt, Bäume und unzählige Pflanzenarten hineingesetzt, Wege geformt und nach landestypischer Art gepflastert - jeder Meter ein Meisterwerk der Steinmetzkunst. Eine in den Fels geschlagene Treppe führt hinunter ans Meer. Im Laufe der Jahrzehnte verwandelte sich die 40 000 Quadratmeter große Anlage in einen blühenden subtropischen Garten Eden.

1887 wurde begonnen, dem Felsen die Krone aufzusetzen - ein prachtvolles Hotel mit allen Annehmlichkeiten, die zu der Zeit möglich waren, entstand. William Reid fieberte der Eröffnung seines Traumhauses entgegen, doch dieses eine Mal meinte es das Schicksal nicht gut mit ihm: Ein Jahr nach Baubeginn starb er. Zwei seiner Söhne traten sein Erbe an und eröffneten das Luxushotel am 1. November 1891.

Schnell avancierte es zu einer ersten Adresse für betuchte Gäste, die Promis gaben sich die Klinke in die Hand. Wenngleich sich daran bis heute wenig geändert hat, ist das Reid’s Palace längst auch ein begehrtes Urlauberdomizil für normale Pauschal- und Individualreisende.

Mehrfach wurde das Hotel, das heute zur Belmond-Hotelgruppe gehört, in den 127 Jahren seiner Existenz den Zeitbedürfnissen entsprechend um- und ausgebaut, dennoch atmet es überall noch den Hauch der »Gründerzeit«: in den Gästezimmern, den Restaurants und Festsälen und auch in den verwinkelten Fluren, wo auf unzähligen Fotos und Plakaten die Geschichte des Hotels lebendig wird.

Da ist zum Beispiel der irische Dramatiker George Bernard Shaw zu sehen, der 1924 sechs Wochen im Reid’s Palace logierte, um sich von der Sonne verwöhnen zu lassen - und um Tango tanzen zu lernen. Sein Lehrer, Max Rinder, hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Denn als Dank überreichte der Literaturnobelpreisträger ihm ein Foto mit dem handschriftlichen Vermerk: »Er war der einzige Mann, der mir je im Leben etwas beigebracht hat.« Dass Rinder sich danach vor Tanzschülern nicht mehr retten konnte, sei nur nebenbei erwähnt. Bis heute übrigens lädt das Hotel zum Tangotanzen ein.

Die George-Bernhard-Shaw-Suite ist eine von 35 Suiten und 128 Zimmern des Hotels. Die berühmteste Suite ist aber jene, in der 1950 Winston Churchill mit seiner Frau wohnte. Stundenlang konnte er auf dem Balkon sitzen, aufs Meer schauen und malen. Churchill gehörte zu den Ersten, die nach dem Zweiten Weltkrieg hierher kamen. Gäste, Mitarbeiter und die Bevölkerung Madeiras feierten den Politiker als Kriegshelden. Sobald er und seine Frau das Restaurant betraten, und wo immer er auf der Insel unterwegs war, gab es Standing Ovations. In seinem Tagebuch notierte Churchill später: »Ich wurde von vielen Menschen auf der Welt begrüßt, für die ich etwas getan habe, aber nie in meinem ganzen Leben mit solcher Begeisterung von Menschen, für die ich nie etwas getan habe.«

Ein Haus wie das Reid’s Palace achtet bei allen Veränderungen selbstverständlich auf Traditionen. Very british geht es seit seiner ersten Stunde jeden Nachmittag zu, wenn zum Afternoon Tea auf die Terrasse geladen wird. Auf einer dreistöckigen silbernen Etagere türmen sich Gurken-, Lachs- und Krebssandwiches, Obst, Früchtetörtchen, Macarons. Und natürlich fehlen auch Scones, Clotted Cream und Konfitüre nicht. Dazu kann man aus 24 Sorten Tee wählen und bekommt außerdem ein Glas Champagner gereicht. Der Afternoon Tea erfreut sich großer Beliebtheit auch bei Gästen, die nicht im Hotel wohnen. Mit rund 30 Euro nicht gerade ein Schnäppchen, aber unbedingt zu empfehlen.

Nicht nur für viele Gäste aus aller Welt, sondern auch für viele Mitarbeiter ist das Hotel zu einem zweiten Zuhause geworden. Doch keiner arbeitet länger hier als Aguiar Nunes. Der heute 65-jährige Concierge begann vor 53 Jahren im Reid’s Palace als Laufbursche und führt damit eine Familientradition fort, die 1894 begann. Dagegen ist Chefkoch Luis Pestana regelrecht ein Anfänger. Er begann seinen Weg in der Hotelküche »erst« vor 27 Jahren. Inzwischen hat er den Olymp der Gastronomie erklommen: 2016 adelte der »Guide Michelin« die Küche des Restaurants »William« mit einem Stern.

Bis heute ist das Reid’s Palace Madeiras bekanntestes Hotel. Der Traum des Bauernsohnes William Reid ist wahr geworden, wenngleich er nur den Grundstein legte. Zu einer Hotellegende haben es über die Jahrzehnte vor allem die vielen Mitarbeiter gemacht, für die jeder Gast ein König war und ist.

Infos:

Belmond Reid’s Palace: www.belmond.com/reids-palace-madeira

Afternoon Tea: Die typisch britische Teezeit ist nicht nur Hotelgästen vorbehalten. Sie findet täglich von 15 bis 17.30 Uhr auf der Hotelterrasse statt. Eine Vorbestellung ist unbedingt zu empfehlen.

Pauschalreisen: Viele deutsche Reiseveranstalter bieten Package-Reisen ins Reid’s Palace an.

Allgemeine touristische Infos zu Portugal: Tel. (0180) 500 49 30 (0,14 Cent aus dem deutschen Festnetz)

www.visitportugal.com

Literatur: Susanne Lipps, »Madeira«, Dumont Reise-Taschenbuch, Dumont Verlag, 17,99 €

Andreas Augustin, »Reid's Palace« (auf Englisch), www.famoushotels.org, 33 €

Die Reise wurde unterstützt von DERTOUR.

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