Gedankenverloren, so liest man, wünschte sich Edward Albee die Zuschauer beim Verlassen des Theaters. Im Fall seines 1962 in New York uraufgeführten, 1963 am Schlosspark Theater Berlin inszenierten Stücks »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« dürfte das zutreffen. Denn die zweistündige Demontage eines Ehepaars nach allen Regeln der Boshaftigkeit ist ein harter Brocken. Was nur ein »gewöhnlicher« Kleinkrieg scheint, entwickelt sich zu infamer Abrechnung mit dem Partner und dem eigenen Leben. Am Renaissance-Theater hat Regisseur Torsten Schäfer den vor spitzzüngigen Dialogtiraden berstenden Monolithen auf Herbert Schäfers und Vasilis Triantafillopoulos‘ Bühne gestellt: eine Schräge, eng und dicht am Zuschauer, zu beiden Seiten je eine Chippendale-Couch, in der Mitte hinter einem Lamellenvorhang ein grässlicher Teufelsschlund, der Eingang zur Hölle, eine Bar - Zuflucht und Tanke der Akteure, wenn nach gegenseitigen Verletzungen nur ein starker Drink aufhilft.
Süße, die naiv lüsterne Blondine, und Ehemann Nick, zwei in den Zwanzigern, sind weit nach Mitternacht zu Martha und George geladen, um einer gemeinsamen Party den letzten Kick zu geben. Ungewollt geraten sie in die Hasskrise eines Paares mittleren Alters wie in einen Sog, der bei jedem der Vier verborgene Schmutzflecken auf der Seele enthüllt. Was bei den Älteren locker als verbaler Schlagabtausch in Trunkenheit beginnt, wächst sich zur letzten Schlacht aus, die höchstens zwei Sieger kennt. Martha, Tochter des Uni-Präsidenten einer US- amerikanischen Kleinstadt, hält George, Historiker an der Uni, für einen Versager, weil ihr bewunderter Vater das so sieht. Nick und seine Frau werden Spielball in einem Dauerfeuer, das auch ihre Schwachstellen freibrennt. Albee hat verschiedene Erzählstränge verschachtelt: Jeder berichtet vertraulich aus seinem Leben, was sofort als Waffe gegen ihn benutzt wird. George hat seinen Vater getötet; Martha säuft den unerfüllten Kinderwunsch weg, hat einen Phantomsohn erfunden; Nick die Süße nur geheiratet, weil sie vermeintlich schwanger war; die Süße erbricht sich dauernd, weil sie schwanger ist oder sein will. Was stimmt, was bloß Munition im Gefecht wird, bleibt unklar, weshalb ständig die Emotionen aufschäumen, umschlagen, heftige Attacken reiten. Wir trainieren unseren Witz, giftet George süffisant, nennt Rotationsbumsen den Fakultätssport, geht den Biologen Nick wegen Experimenten am Erbgut an. Nicht nur die Kritik am Anderen greift unter die Gürtellinie, Martha ermuntert Nick auch gegenständlich dazu. Da holt George zum finalen, wohl auch heilenden Schlag aus, entlarvt Marthas Gerede von einem Sohn. Das reißt sie aus ihrem Traum. Ob der Rest Liebe, der beiden geblieben ist, für eine Zukunft reicht, bleibt offen. Simone Thomalla und Klaus Christian Schreiber ziehen alle Register zwischen Taube und Schakal, erschrecken, stoßen ab, sind menschlich im unausgesprochenen Schmerz. Karla Sengtellers Süße und besonders Emre Aksizoğlu als smarter Nick werden von Katalysatoren zu Mittätern in einem verheerend reinigenden Ehegewitter.
Nächste Vorstellungen: 20. bis 25. Februar, Renaissance-Theater, Knesebeckstr. 100, Charlottenburg
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1080013.ehegewitter-mit-lichtblick.html