nd-aktuell.de / 22.02.2018 / Berlin / Seite 12

Mehr Begegnung am Stadtrand

Studenten entwickeln Szenarien für Hohenschönhausen im Jahr 2037

Nicolas Šustr

»Die Menschen kommen hier auf der Straße nicht miteinander ins Gespräch und ich habe den Eindruck, dass sie das auch überhaupt nicht wollen«, diesen Eindruck gewann Maria-Nefeli Gerotoliou als sie in Neu-Hohenschönhausen unterwegs war. Das sei doch deutlich anders im Vergleich zu Griechenland, wo ihre Eltern wohnen. Sie studiert Architektur an der Technischen Universität (TU) und beschäftigte sich für das Semesterprojekt mit Visionen für die Großwohnsiedlung im Jahr 2037.

Vor 33 Jahren wurde der Grundstein gelegt für das Plattenbauviertel, in dem heute rund 55 000 Menschen leben. Typisch sind breite Magistralen, neben einigen Punkthochhäusern ist die Siedlung geprägt von Bauten, die sich um riesige Höfe gruppieren. »Es gibt allerdings außer dem Linden-Center keine Orte, an denen sich die Leute treffen können«, sagt Gerotoliou. Wirkliche Stadtplätze fehlen, außerdem wird das Viertel durch große Straßen und den Eisenbahn-Außenring geteilt. »Die Gegend ist sehr autogerecht geplant. Die Leute fahren mit dem Auto bis vor ihre Haustür«, so Gerotoliu.

Sie hat zusammen mit anderen Studenten gleich mehrere Ideen entwickelt, wie das geändert werden könnte: Die Fahrbahn der Zingster Straße könnte künftig nur noch auf einer Seite der Straßenbahngleise verlaufen, die großen Autoabstellflächen zugunsten von Fußgängerbereichen, die zum promenieren einladen, wegfallen. Außerdem soll ein Wegenetz auch die langgestreckten Wohnriegel durchbrechen.

Die Erfahrung lehrt: Sobald Parkplätze wegfallen sollen, ist für viele Bewohner Schluss mit lustig. »Das soll aber kein Entwurf sein, sondern eine Basis zum Verhandeln«, erklärt Anna Heilgemeier, Dozentin am Lehrstuhl für Städtebau und Urbanisierung der TU. Sie hat das Projekt mitbetreut. Man gehe stark von der Ebene der Nutzerr aus. »Trotzdem wollen wir die Studierenden dazu bewegen, Haltung zu entwickeln«, so Heilgemeir. Leitmotiv war die Frage: »Was bräuchten ›Wir‹, um in Neu-Hohenschönhausen wohnen zu wollen?«

Um die Partizipation besser in Gang zu bringen, haben die Studenten sogar das komplexe Brettspiel Flipolis entwickelt. Ein Durchgang dauert Stunden. In der Zeit bekommen Teilnehmer jedoch einen Blick für die Probleme, aber auch die Chancen neuer Entwicklungen. Häuser sollen »geflippt« werden, also neue Gemeinschaftsbereiche geschaffen werden oder auch fehlende Ladenlokale in den Erdgeschossbereichen, um ein Mehr an Kommunikation und Straßenleben zu erreichen. Viele Anwohner seien kritisch gegenüber Veränderungen eingestellt, erfuhr heilgemeir: »Es gibt eine ziemlich große Angst vor Gentrifizierung.« Andere fordern wiederum Veränderungen ein. »Wann wird endlich etwas für uns gemacht?«, wollen sie wissen.

Professor Jochen Rabe vom Einstein Center Digital Future sieht große Chancen durch die Digitalisierung der Produktion: »Es gibt kaum noch störende Emissionen und der Platzbedarf ist wesentlich geringer.« Digitale Manufakturen und Co-Working Spaces, gemeinschaftliche Büro- oder Werkstatträume, könnten Wohnen und Arbeiten in Hohenschönhausen näher zusammenrücken lassen, glaubt er. Auch diese könnten auf jetzt noch von Parkplätzen oder Straßen belegten Flächen entstehen.

»Die Arbeiten der Studenten helfen uns dabei, einen ganz neuen, unverstellten Blick auf unsere Großsiedlungen zu erhalten und gleichzeitig wichtige Entwicklungen unserer Zeit, von der Globalisierung bis hin zu Veränderungen in der Gemeinschaft, mitzudenken«, sagt Stefanie Frensch, Chefin der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, die das Projekt unterstütz hat.

Auch dem landeseigenen Wohnungsunternehmen denken die Studenten eine neue Rolle zu: Ihnen schwebt eine weitgehende Selbstverwaltung des Hausbestandes vor. Oft werde gezweifelt, ob so etwas in Siedlungen funktioniere, so die Erfahrung Heilgemeirs. Als Positivbeispiel nennt sie »Leathermarket JMB« in London. Dort verwalten die Bewohner rund 1500 Wohnungen am südlichen Themseufer. »Und zwar besser als die vorher zuständigen Stellen.«

Natürlich wurde das dräuende Thema Nachverdichtung besprochen. »Uns sollte nicht das Bild der aus der Innenstadt bekannten Urbanen Dichte und Mischung leiten«, sagt Heilgemeir. »Es ging darum, Hypothesen für die Zukunft zu erarbeiten.«