Letzte Nacht in Schweden

Martin Leidenfrost besuchte den von vielen Migranten bewohnten Stockholmer Stadtteil Rinkeby

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

»Look at what happened last night in Sweden!«, empörte sich Donald Trump vor einem Jahr. Da am Vorabend nirgendwo in Schweden etwas Nennenswertes vorgefallen war, wurde Trump zum Ziel einer weltweiten Spottkampagne. Dabei blieb weitgehend unbemerkt, dass am übernächsten Abend in Schweden sehr wohl etwas geschah: Am 20. Februar 2017 warfen Migranten Steine auf Polizisten, vermöbelten einen Fotografen, demolierten Geschäfte, zündeten Autos an.

Ich verbrachte zwei Abende in jener Stockholmer Wohnblocksiedlung. Rinkeby, schon seit 2013 bekannt für tagelange Randale. In der U-Bahn-Station »Rinkeby« tanzten zwei süße Mokkamädels. Sie sprachen Englisch; da viele hier in England geboren wurden, sollte ich noch öfter Englisch hören.

Eine lange Rolltreppe führte mich unter fleischrosa bemaltem Fels hinauf. Oben kurz ein Schock: Das war Mogadischu bei Nacht. Money-Transfer und Halal-Fastfood, afrikanische Abendfriseure und Riesenwaschsalons. Kamelfleisch war im Angebot, 100 Kronen das Kilo.

Ich setzte mich in einen Kebabgrill. Vor dem »Rinkeby Grillen« hatte der Aufstand vor einem Jahr begonnen, mit der Festnahme des Gangsta-Rappers Muhammed Rebar. Inzwischen hatte sich die Legende gebildet, Polizisten hätten auf den unschuldigen Rapper gepisst. Ich hörte die hektische Redeweise eines feingliedrigen jungen Schwarzen, aus seiner Sprache klangen Wörter heraus wie »fuck, fucking, Telefonsex«. Als ich gehen wollte, verweilte mein Blick zu lange auf der US-Fahne an einer Jacke. Der afrikanische Träger der Jacke hielt mich auf: »Dich habe ich hier schon gesehen, du arbeitest für die Polizei!« Ich beteuerte: »Das kann nicht sein, dies ist mein erster Abend in Stockholm.« Er tastete mich vor seinen lachenden Kumpels nach Waffen ab.

Dennoch fühlte ich mich sicher. Ich wusste, die hohe Verbrechensrate von Rinkeby lag immer noch unter dem Schnitt von Großbritannien. Der marokkanische Besitzer des »Kaffe Mynta«, in dem zwei Brüder abgeknallt worden waren, meinte entspannt: »Das war erst die zweite Schießerei in fünf Jahren, Paris ist schlimmer.« Im somalischen »No Café« lief ein Kulissenschieber-Western. Aus diesem Anlass erläuterte ein Senior der Jugend vom Horn von Afrika die Geschichte Amerikas.

Schweden ist zwar der OECD-Staat mit der ausgeprägtesten ethnischen Segregation, in Rinkeby sind 90 Prozent Migranten, doch erinnerte hier kaum etwas an eine französische Banlieue. Die Wohnblöcke waren gut in Schuss, große Balkone, gepflegte Parks. Ein gut besuchtes Jugendzentrum, der Besuch zweier sozialdemokratischer Minister war angekündigt.

Ich kam zu »POET« zurecht, einem groß aufgezogenen Wettdichten für die Gettojugend. Drei Polizeibusse, die Mehrzweckhalle war voll. Eine professionelle Moderatorin, neun Juroren auf roten Sofas. Auf der Tribüne, ganz hinten und ganz oben, saßen wie auf einer Hühnerstange schwarz verschleierte somalische Backfische. Sie kreischten geballt für ihre Favoriten. Auch die auftretenden Mädels trugen Schleier. Viele lasen ihre Poesie vom Smartphone ab. Aus den ausschließlich schwedischen Texten hörte ich heraus: »reflektieren, differenzieren, Politik, fuck the police«. Von einem Poeten mit langem roten Bart meinte ich dieses zu verstehen: »Wer sagt, alle Muslime sind Terroristen … Hitler.«

Ich muss noch Osman das Wort geben. Der hübsche 20-Jährige, halb Bosnier und halb Araber, erklärte mir aufgewühlt den ganzen Rest. Er sagte über die herumhuschenden Ratten: »Die Ratten in Rinkeby sind verrückt, denn ab und an fällt den Dealern hier Kokain aus dem Hosensack - die Ratten sind davon verrückt geworden.« Über die Regierung: »Die investierte 150 000 Euro in ein Projekt - Mütter sollten am Abend in Leuchtwesten rausgehen, um ihre Kinder ins Bett zu bringen.

Ich frage dich: Siehst du diese Mütter? Wer hat das Geld eingesackt?« Über einen blonden Polizisten: »Der filzt mich dauernd. Er wirft mich auf den Boden, vor meinen Eltern, vor Kindern, was für eine Schande! Die fahren uns in den Wald, geben Sand in ihre Handschuhe, so hinterlassen die Schläge keine Spuren. Wenn sie keine Drogen finden, setzen sie mich auf der Autobahn aus, und ich muss nach Hause laufen wie der letzte Idiot.« Über die Ausschreitungen: »Kleine Kinder haben soviel aus dem Lidl genommen, wie sie nur tragen konnten, und sie haben diese Limos verteilt. Sie wollten zeigen, dass auch sie eine Würde haben! Dass auch sie Respekt verdienen!«

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