nd-aktuell.de / 01.03.2018 / Kultur / Seite 17

Der Ekel

Ángel Santiesteban:

Friedemann Kluge

Mit dem Roman »Der Ekel« von Jean-Paul Sartre hat das Buch des kubanischen Autors Ángel Santiesteban nicht mehr gemein als eine mit Ekel angefüllte Existenz ohne Sinn. Oder mehr: den Ekel vermittelnd, den Leser mit ihm infizierend.

Der Autor muss unter einer Sexualneurose leiden, denn in keiner seiner 16 Geschichten geht es ohne eine detaillierte Darstellung aller möglichen sexuellen Praktiken ab - ob sie nun mit der Handlung zu tun haben (könnten) oder nicht. Dabei befindet sich Santiesteban, was die Beherrschung der Sprache anbelangt (so weit wir es durch den Filter der Übersetzung beurteilen können), auf einem Niveau, das deutlich hoch genug ist, als dass er dieses permanente Herumrühren in Ab- und Anstößigkeiten zur Eindringlichkeit der Darstellung nötig gehabt hätte.

Im Unterschied zu dem Subtitel »16 Geschichten aus Kuba« haben die meisten Geschichten mehr mit Angola als mit Kuba zu tun. Angola, wo das kubanische Militär zwischen 1975 und 1991 in unbeschreiblichen Gemetzeln engagiert gewesen ist. Analog dem Diktum Walter Benjamins, wonach es der Tod ist, der das Leben in Erzählung verwandelt, ist es hier der Krieg, den der Autor zu Kunst sublimiert.

Santiestebans Geschichten dürften im Wesentlichen direkt oder indirekt autobiographisch verwurzelt sein. Am Angolakrieg hat er zwar selbst nicht teilgenommen, wohl aber sein Bruder Jorge, der traumatisiert zurückkehrte und der dem Autor als Referenz gedient haben mag. Der Regimekritiker Ángel Santiesteban selbst litt freilich jahrelang in dem berüchtigten kubanischen Gefängnis Valle Grande. Aus diesen Erfahrungen speisen sich die meisten seiner in Kuba angesiedelten Geschichten. Texte, die, ebenso wie die über Angola, bis heute in Kuba nicht erscheinen dürfen. Dafür sorgt ein bereits über zehn Jahre währendes Publikationsverbot.

In diesen, seine Heimat Kuba betreffenden Erzählungen greift der Autor zwar (berechtigterweise!) zahlreiche Missstände auf und an, vergisst dabei aber (oder hat es schlicht und einfach nicht selbst erfahren, weil er erst 1966 geboren wurde), dass es vor den Castros auf der Insel das brutale Regime eines Fulgencio Batista gegeben hat, das durch die kubanische Revolution 1959 endlich beseitigt wurde.

Wo Santiesteban dann auf die wirtschaftlichen Defizite seiner Heimat rekurriert, lässt er zudem außer Acht, dass Kuba einem USA-gesteuerten, seit 1992 ständig verschärften, fast weltweiten Wirtschaftsembargo ausgesetzt war - und noch ist! Da ist es dann einigermaßen schwierig mit vorbildlichem Wirtschaften und Wohlstand ...

So verlässt man dieses Buch mit gemischten Gefühlen - ähnlich einem Kinofilm, dessen Handlung begeisterte, dessen Darsteller hingegen sich als gewöhnungsbedürftig erwiesen.

Ángel Santiesteban: Wölfe in der Nacht. 16 Geschichten aus Kuba. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Verlag S. Fischer, 269 S., geb., 22 €.