nd-aktuell.de / 03.03.2018 / Kultur / Seite 9

Echte Männer braucht das Land

Pick-Up-Artists wollen Frauen aufreißen - und Europa vor der Machtübernahme durch »Feminazis« und Muslime bewahren

Till Mischko

Im Land derer, die sich ihren »Mohrenkopf« nicht wegnehmen lassen wollen, hat jemand ein Problem: Man glaubt es kaum, schreibt der User eines deutschen Pick-Up-Forums, aber er habe endlich eine Frau kennengelernt, die es ihm angetan hat. Die »Olle« sei total »ON!« gewesen. Da es sich bei ihm jedoch um einen klassischen »Langzeit-AFC« (Average Frustrated Chump) handelt, habe er es im entscheidenden Moment vermasselt. Mehr als ihre Telefonnummer und einen zaghaften Kuss habe er nicht ergattern können.

Da wäre mehr drin gewesen, schreibt der Ehrenmann selbstreflektiert. Trotz allem kann er das »HB« (Hot Babe) nach kurzem »textgame« zu einem Treffen in eine Bar bewegen. Jedoch, auch dort geht alles schief, was nach den Regeln der Community nur schiefgehen kann: Die Frau beschwert sich darüber, dass er seine Hände nicht bei sich behält. Als er sie um die Hüfte fassen will, weist sie ihn zurück.

Der Abend wird nicht besser. Es folgt, so der »AFC« weiter, ein 20-minütiger Vortrag über »arme Flüchtlinge, Kinder, Hunde, Katzen, und alles ist grün, grün und nochmals grün«. Obwohl sie gar nicht so aussieht, denn sie sei ja schließlich eine »absolute Granate«, dämmert es ihm allmählich: Die Angebetete muss eine militante Feministin (kurz: »Feminazi«) sein. Die Situation ist verzwickt, schließlich sei sie ja »noch immer geil«. Was tun?

Das Forum weiß Rat: »Schreib ihr: ›Ich werde dich am Sonntag in der Öffentlichkeit so blamieren, wie ich es will. Ich werde dich anfassen und küssen, stell dich drauf ein.‹« Ein anderer hat schon mal was von den großen Klassikern der Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie gehört und versucht sich an einer aufheiternden Analogie: »Und mit den Titten und Hintern mit Marx und Lenin im Regal ist es so ähnlich wie mit denen vom Land: Meistens sind sie nix - aber wenn sie was sind, dann auch besonders hübsch.« Wieder ein anderer deutet das Geschehene tiefenpsychologisch: »Sie ist keine Feministin. Sie ist einfach nur unsicher - und versucht diese Unsicherheit umzuetikettieren in etwas Cooles.«

Mediales Aufsehen erregen konnte die Pick-Up-Community zum ersten Mal mit Neil Strauss’ internationalem Besteller »The Game« (2006), der heute in die Bücherregale verunsicherter Männer gehört wie einst der Klassiker »Das Löten für den Praktiker. Beherzenswerte Regeln für den Anfänger - nützliches Grundwissen für den Profi«. Den Pick-Up-Artists geht es, na klar, ums Frauenaufreißen. Dazu muss der von Feministinnen verweichlichte Paarungswillige jedoch erst mal ein echter Kerl werden, der in der unübersichtlichen Terminologie der Community auch »Alpha-Mann« genannt wird. Das geht zum Beispiel so, wie eine Anleitung auf wikiHow.com verrät: »Hab keine Angst, den Raum mit deiner Gegenwart zu füllen. Nimm eine starke Haltung ein, benutze große Gesten, schaue entspannt und zuversichtlich in deine Umgebung.«

Es ist zu einfach, sich über die Pick-Up-Artists lustig zu machen, schreiben die Wissenschaftlerinnen Franziska Schutzbach und Michelle Lanwer in der Schweizer Wochenzeitung »WOZ«. Vom Feindbild eines angeblich grassierenden ›Feminismus‹, der Männer klein halte, sei es oft nur ein kleiner Schritt zu der Vorstellung, die Verweichlichung des westlichen Mannes führe zur Schwächung nationaler Souveränität und zur baldigen Machtübernahme durch Muslime. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik argumentierte in seinem Manifest auf diese Weise.

Das Phantasma von einer Wiederaneignung dominanter Männlichkeit wirke bei vielen Männern wie eine Einstiegsdroge für rechtsnationale Weltanschauungen, meinen Schutzbach und Lanwer. So kam der Pick-Up Artist »Roosh V« im Jahr 2016 auf die wahnhafte Idee, weltweit Männergruppen zu gründen, die er als Stämme bezeichnete, um auf diese Weise den Islamisten etwas entgegensetzen zu können.

Auch Teile der deutschen Pick-Up-Community bewegen sich ungehemmt im Fahrwasser neurechter Ideologien. Neben den großen Communitys wie pickupforum.de existiert eine Vielzahl verdeckter Gruppen im Netz. Das Feindbild ist eindeutig und umfasst die ganze Bandbreite abendländischer Untergangsrhetorik. Schuld an allem sind: »Feminazis«, »Gutmenschen«, Flüchtlinge, Muslime, Linke, »politisch Korrekte«, Afrikaner, Grüne, Medien und, last but not least, die Gender Studies.

Nicht verwunderlich ist es da, dass einer der führenden Köpfe der sogenannten Identitären, Robert Timm, bei den Pick-Up-Artists zum Alpha Male reifte. In der Dokumentation »Die Verführungskünstler« (2013) sieht man den blassen Jüngling zu Hause neben Mutti auf dem Sofa sitzen. Ohne Pick-Up-Seminare, da ist er sich sicher, wäre er niemals mit Frauen in Kontakt gekommen. Heute weiß der Student der Architektur: »Nationalstaat und Identität werden dekonstruiert.« Angst hat er vor allem vor muslimischen und afrikanischen Männern. Timm setzte sich für den von Rechten organisierten »Frauenmarsch« ein, der kürzlich in Berlin stattfinden sollte. Man wolle Sprachrohr für all jene Frauen sein, die Opfer von »Ausländerkriminalität« geworden sind, postuliert das Bündnis, das den Marsch organisierte. Jutta Ditfurth brachte die Sache auf ihrem Twitter-Kanal auf den Punkt: »Deutsche Rechte und Nazis demonstrieren für ihr alleiniges Recht, Frauen sexuell zu belästigen.«

Weit kamen die Frauen, die größtenteils aus Männern bestanden, bei ihrem Marsch jedoch nicht. Couragierte Gegendemonstrantinnen stellten sich ihnen in den Weg. Die Rechten mussten nach Hause gehen.

Lag der Fokus von Analysen zur Neuen Rechten bisher vor allem auf Rassismus und Migrationsfeindlichkeit, konstatieren Schutzbach und Lanwer, wird jetzt zunehmend deutlich, dass Antifeminismus, Frauenverachtung und maskulinistische Ideologien ebenfalls zentral, ja häufig die eigentliche Triebkraft für rechtsnationale Radikalisierung sind. So forderte Ende 2015 der AfD-Politiker Björn Höcke bei einem Auftritt in Erfurt mit ausladenden Gesten: »Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage: Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.« Zurück an den Lötkolben, möchte man darauf erwidern.