nd-aktuell.de / 06.03.2018 / Politik / Seite 8

Präsident Kiska will Konsequenzen

Neuwahlen in der Slowakei nach Journalistenmord? / EU-Delegation reist nach Bratislava

Olaf Standke

Die linksliberale slowakische Tageszeitung »Pravda« hat in ihrer Montagausgabe den Rücktritt von Innenminister Robert Kalinak gefordert. Nach dem Doppelmord an dem Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova sei das unausweichlich: Ein Busfahrer im Verdacht unlauteren Verhaltens werde schließlich auch genauestens überprüft und bestraft. Alle im Land müsse nun politisch interessieren, »wer uns morgen und übermorgen fährt«. Das meint offensichtlich auch Andrej Kiska. Der Staatschef hat am Sonntag in einer Fernsehansprache weitreichende Konsequenzen aus den Vorgängen gefordert.

Der 27-jährige Reporter war vor acht Tagen in Velka Maca, 65 Kilometer östlich von Bratislava, erschossen aufgefunden worden. Er hatte zuvor für einen investigativen Bericht zum Einfluss der süditalienischen Mafia auf die slowakische Regierung recherchiert. Kuciak warf engen Mitarbeitern von Regierungschef Robert Fico Verbindungen zu italienischen Geschäftsleuten vor, die wiederum mit der 'Ndrangheta in Kontakt stünden. Mithilfe dieses Netzwerks sollen in der Slowakei Steuern hinterzogen und EU-Gelder veruntreut worden sein. Kuciak arbeitete für das zur deutsch-schweizerischen Mediengruppe Ringier Axel Springer Media gehörende Nachrichtenportal »aktuality.sk« und hatte schon mehrfach Beiträge über Korruption und Filz am östlichen Rand der EU veröffentlicht.

Der Ministerpräsident habe zwar die Chefredakteure dazu aufgerufen, gemeinsam alles dafür zu tun, den Mord an Kuciak aufzuklären - »doch nicht einmal bei diesem Treffen im Regierungssitz konnte er seinen Hass auf die Medien verbergen«, kritisierte die Tageszeitung »DENNIK« dieser Tage scharf. In der Vergangenheit hatte Fico Journalisten schon mal als »dreckige anti-slowakische Huren«, »dumme Hyänen« und »schleimige Schlangen« beschimpft. Wer sich Leute an die Seite hole, die mit der Mafia zusammenarbeiten, »sollte nicht mehr Regierungschef sein«, so das Blatt aus Bratislava.

Der parteilose Präsident wirft Fico »Arroganz der Macht« vor. Er habe eine Woche gewartet, um zu sehen, »welche Maßnahmen und politischen Entscheidungen die Regierung trifft, um die Spannungen zu entschärfen«. Doch habe er keine Lösungsvorschläge gehört. Einige Politiker seien zwar zurückgetreten, aber es gebe »keinen Plan, um das Land aus dieser tiefen Vertrauenskrise herauszuführen«. Kiska selbst sieht nur zwei Lösungen - entweder eine umfassende Regierungsumbildung oder vorgezogene Neuwahlen. Letztere wären »in vielen demokratischen Ländern die natürlichste Lösung«, wie er betonte. In Bratislava regiert eine Drei-Parteien-Koalition. Die ungarische Minderheitenpartei Most Hid hat schon angekündigt, in einer Woche über ein Ende der Zusammenarbeit zu beraten. Weil Innenminister Kalinak einen Rücktritt bislang ablehnt, stellt sie nun die Koalition mit Ficos sozialdemokratischer Smer-SD grundsätzlich in Frage. Auch Polizeichef Tibor Gaspar soll gehen. Da die Regierung im Parlament nur über eine knappe Mehrheit verfügt, hätte Fico nach zwölf Jahren an der Macht bei Neuwahlen keine guten Karten.

Also versucht der Regierungschef, sich an die Spitze der Aufklärung zu setzen. Vor den Kameras posierte er mit einer Million Euro als Belohnung für Hinweise zur Ergreifung der Täter. Zugleich beschuldigt er die Opposition, den Mord als »politische Waffe« zu missbrauchen, um Proteste anzuheißen und in Bratislava die Macht zu übernehmen. Doch viele, vor allem junge Slowaken sind empört. Zehntausende gingen am Freitagabend im ganzen Land zum Gedenken an Jan Kuciak und seine Verlobte auf die Straße. Allein in Bratislava fanden sich rund 25 000 Menschen zu einem Marsch auch gegen die Korruption in der Slowakei zusammen. Hunderte Trauernde gaben dem Ermordeten am Sonnabend in der nordslowakischen Ortschaft Stiavnik das letzte Geleit. Wer einen Journalisten angreife, attackiere auch die Freiheit der Slowakei, zitierte die »Pravda« Erzbischof Stanislav Zvolensky. Martina Kusnirova war schon am Vortag bestattet worden.

Wenige Stunden vor der Beerdigung hatte man sieben italienische Geschäftsleute wieder freigelassen, die im Rahmen der Mordermittlungen verhaftet worden waren. Der Reporter hatte sie in seinem Artikel namentlich genannt. Einer soll Beziehungen zu Ficos Assistentin unterhalten haben, die inzwischen »vorübergehend« aus dem Amt schied; so wie ein Sekretär des Staatlichen Sicherheitsrats. Kulturminister Marek Madaric trat gleich ganz zurück. Wie die Polizei mitteilte, seien die Italiener gemäß den gesetzlichen Vorgaben nach einer Überprüfung innerhalb von 48 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Peter Bardy, Chefredakteur von »aktuality.sk«, appellierte an Brüssel, demokratische Institutionen in der Slowakei zu schützen. Nun soll eine achtköpfige Untersuchungsdelegation des Europaparlaments nach Bratislava reisen, um Informationen über Tat und Hintergründe zu sammeln. »Wir kennen noch längst nicht das ganze Ausmaß dieser Geschichte«, sagt die slowakische EU-Abgeordnete Anna Zaborska von der Christdemokratischen Bewegung. Dieser Mord sei ein »schwarzer Fleck nicht nur auf dem Bild unseres Landes, sondern der ganzen EU«. Geplant sind von Mittwoch bis Freitag u.a. Gespräche mit Journalisten, Ministern und Regierungschef Fico. Das EU-Parlament dürfe »dem Verfall von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit« in Mitgliedstaaten nicht tatenlos zusehen, so der grüne Abgeordnete Sven Giegold. Die Kontrollen müssten viel stringenter werden, fordert auch Zaborska. Die EU-Betrugsbehörde OLAF berichtet offiziell nur von einem Fall grenzüberschreitenden Betrugs zwischen der Slowakei und Tschechien 2016. Insgesamt fanden acht Untersuchungen in der Slowakei statt, fünf Mal empfahl die Kommission, EU-Geld zurück zu fordern. Aber davon erfahre die Öffentlichkeit kaum etwas, so Kritiker, womit es auch keinen Druck auf Bratislava gebe. Die EU-Behörden blieben zahnlose Tiger.